Krieg in Nahost Leichen von sechs Geiseln im Gazastreifen gefunden
Knapp elf Monate nach dem Großangriff der Terrororganisation Hamas auf Israel hat das israelische Militär eigenen Angaben zufolge die Leichen von sechs weiteren Geiseln im Gazastreifen gefunden. Sie seien erst vor Kurzem ermordet worden.
Die israelische Armee hat die Leichen von sechs Geiseln im Gazastreifen geborgen. Das gab das Militär am frühen Morgen bekannt. "Nach unserer ersten Einschätzung wurden sie von Hamas-Terroristen brutal ermordet, kurz bevor wir sie erreichten", sagte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari.
US-Präsident Biden bestätigte den Fund. Sein Team sei mit Israel in Kontakt. Die israelischen Streitkräfte hätten die Leichen in einem Tunnel unter der Stadt Rafah geborgen, erklärte Biden.
US-israelischer Doppelstaatler unter den Toten
Unter ihnen sei der US-israelische Doppelstaatler Hersh Goldberg-Polin. Seine Eltern hatten kürzlich auf dem Demokraten-Parteitag in Chicago an das Schicksal ihres Sohns erinnert. "Unter den Geiseln sind acht amerikanische Staatsbürger und einer von ihnen ist unser einziger Sohn", sagte Rachel Goldberg in ihrer Rede, die mehrere Delegierte zu Tränen rührte.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Am Donnerstag versammelte sich das Paar mit anderen Geisel-Angehörigen an der Grenze zum Gazastreifen. Die Angehörigen versuchten, die Geiseln im Gazastreifen mit lauten Lautsprecher-Durchsagen direkt zu erreichen. "Hersh, hier ist Mama", wandte sich Goldberg-Polins Mutter an ihren Sohn. "Ich bete zu Gott, dass er dich zurückbringt. Jetzt sofort. Ich liebe dich, bleib stark."
Hamas-Video zeigt Goldberg-Polin
Im April hatte die Hamas ein Video von Goldberg-Polin veröffentlicht. Darin beschuldigte er den israelischen Regierungschef Benjamin Netanyahu, die Geiseln in der Gewalt der Hamas "im Stich gelassen" zu haben. Goldberg-Polin war israelischen Medien zufolge am 7. Oktober 2023 bei dem Hamas-Großangriff auf das Nova-Musikfestival in Südisrael schwer verletzt und anschließend in den Gazastreifen entführt worden.
In der Aufnahme ist er mit einem roten Hemd bekleidet und auf einem Plastikstuhl sitzend zu sehen, sein linker Arm ist amputiert. "Ich wollte mit meinen Freunden abhängen und fand mich stattdessen mit schweren Verletzungen am ganzen Körper um mein Leben kämpfend wieder", sagte er.
Netanyahu: "Wer Geiseln ermordet, will keinen Deal"
In einer Reaktion auf den Fund der sechs toten Geiseln warf Israels Premier Benjamin Netanyahu der islamistischen Hamas vor, Bemühungen um eine Waffenruhe systematisch zu torpedieren. "Wer Geiseln ermordet, will keinen Deal", sagte er in einer Videobotschaft.
Man unternehme ununterbrochen Anstrengungen zur Befreiung der Geiseln. Aber seit Dezember weigere sich die Hamas, "echte Verhandlungen zu führen". Netanyahu warf der Hamas vor, mehrere US-Vorschläge zurückgewiesen zu haben, während Israel diesen zugestimmt habe.
Noch 100 Geiseln in Gefangenschaft
Nach israelischen Angaben sind noch etwa 100 Geiseln in der Gewalt der Hamas - Dutzende von ihnen sind nach Einschätzung des Militärs tot. Im Laufe einer einwöchigen Waffenruhe Ende November hatte die Terrororganisation 105 Geiseln freigelassen. Im Gegenzug entließ Israel 240 palästinensische Häftlinge aus Gefängnissen. Vereinzelt konnten Geiseln von der israelischen Armee befreit werden - unter hohem Blutzoll für die palästinensische Zivilbevölkerung bei diesen Militäreinsätzen, für die Israel international in der Kritik steht.
Verhandlungen über Geisel-Freilassung stocken
Ob es zu einer weiteren Vereinbarung über eine Waffenruhe und Freilassung von Geiseln kommen kann, ist offen. Seit geraumer Zeit führen die USA, Ägypten und Katar in Kairo Vermittlungsgespräche über ein Abkommen, das eine Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung von Geiseln vorsieht.
Einem Bericht der israelischen Zeitung Haaretz zufolge hätten drei der sechs nun tot gefundenen Geiseln in der ersten Phase eines möglichen Abkommens freigelassen werden sollen. "Sie standen auf den Listen, die Anfang Juli übergeben wurden. Es war möglich, sie lebend zurückzubringen", sagte demnach eine israelische Quelle, die Haaretz nicht näher benannte.
Die Gespräche sind allerdings seit Monaten festgefahren. Israel und die Hamas verweigern direkte Verhandlungen mit der Gegenseite. Hauptstreitpunkt ist derzeit die Frage, wie lange israelische Truppen am Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten stationiert bleiben dürfen. Israels Sicherheitskabinett beschloss kürzlich, an der Kontrolle des Korridors festzuhalten.