EU-Erklärung zu Nahost-Krieg Warum die "humanitäre Waffenruhe" strittig ist
Vor Beginn des EU-Gipfels sind die Mitgliedsstaaten weiter uneins: Sollen sie eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas fordern? Außenministerin Baerbock hat einen Gegenvorschlag. Der Überblick.
Vor dem Brüsseler EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag ist ein Streit um die Abschlusserklärung zum Krieg im Nahen Osten entbrannt. Grund ist die sehr unterschiedliche Haltung der EU-Länder zu einer diskutierten "Waffenruhe" zwischen Israel und der Hamas. Aber auch der Eklat zwischen Israel und UN-Generalsekretär António Guterres spielt eine Rolle. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Worum geht es?
Im ersten Entwurf der EU-Gipfelerklärung von EU-Ratspräsident Charles Michel hieß es zum Nahost-Krieg: "Der Europäische Rat unterstützt die Forderung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Guterres, nach einer humanitären Pause, um einen sicheren Zugang für humanitäre Hilfe zu ermöglichen." Der Text war aber nach Diplomatenangaben nicht mit den EU-Ländern abgestimmt.
Was fordert Guterres?
UN-Generalsekretär Guterres verlangt seit Tagen ein "immediate humanitarian ceasefire". Die deutsche UN-Vertretung in Berlin übersetzt dies mit "sofortige humanitäre Waffenruhe", wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilt. Damit meine Guterres "eine vorübergehende Unterbrechung von Kämpfen" für humanitäre Hilfe, das Bergen von Verletzten und Ähnliches. Die Kämpfe könnten aber "jederzeit wieder aufgenommen werden", so die deutsche UN-Vertretung.
Wer unterstützt Guterres' Forderung?
Regierungspolitiker aus Ländern wie Spanien, Belgien und Irland haben zuletzt Unterstützung für Guterres Forderung nach einer Waffenpause zwischen Israel und der Hamas geäußert. Auch Frankreich signalisierte Zustimmung.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich im Vorfeld des EU-Ratstreffens ebenfalls offen für diesen Vorstoß: "Persönlich denke ich, dass eine humanitäre Feuerpause nötig ist, damit die humanitäre Hilfe hereinkommen und verteilt werden kann." Dies sei vordringlich, weil rund die Hälfte der mehr als zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens angesichts der erwarteten israelischen Bodenoffensive ihre Häuser hätten verlassen müssen.
Wer stellt sich gegen Guterres' Forderung?
Neben Österreich, Tschechien und Lettland sieht auch Deutschland die Forderung nach einer Feuerpause skeptisch. Die Bundesregierung fürchtet, eine solche Erklärung könne so aufgefasst werden, als stelle die EU das israelische Recht auf Selbstverteidigung infrage. Deutschland dürfte deshalb darauf dringen, die Passage bis zum Beginn des EU-Gipfels noch zu ändern oder zu streichen.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock machte ihre Position bei dem Treffen mit ihren Amtskollegen in Luxemburg deutlich. Sie sprach von einer "Quadratur des Kreises": "Wir können die humanitäre Katastrophe nicht eindämmen, wenn der Terrorismus von Gaza so weitergeht", sagte sie: "Es wird nur Frieden und Sicherheit für Israel und die Palästinenserinnen und Palästinenser geben, wenn der Terrorismus bekämpft wird."
Italiens Außenminister Antonio Tajani sagte: "Wir können Israel nicht sagen, es darf sich nicht mehr selbst verteidigen, solange die Hamas Raketen auf seine Städte abfeuert."
Was ist statt der Guterres-Forderung im Gespräch?
Ratspräsident Michel hat Guterres' Formulierung bereits abgeschwächt. In seinem EU-Erklärungsentwurf spricht er von einer "humanitären Pause". Das Wort "Waffenruhe", das Guterres eigentlich verwandt hatte, steht dort nicht. Auch der EU-Außenbeauftragte Borrell dringt auf eine solche "humanitäre Pause".
Die Israel-Freunde in der EU sehen aber auch diese Formulierung skeptisch, da sie ihnen immer noch zu sehr nach einer Waffenruhe klinge.
Welchen Gegenvorschlag unterbreitet Deutschland?
Außenministerin Baerbock brachte bei einer Debatte des UN-Sicherheitsrats in New York am Dienstag den Begriff "humanitäre Fenster" ins Gespräch. Bereits in den vergangenen Tagen habe es solche "humanitären Pausen" gegeben, zitierte das Auswärtige Amt Baerbock auf X. Die Formulierung im Plural soll sicherstellen, dass Israel sich nicht zu einer einseitigen Waffenruhe gedrängt fühlt.
Wie könnte eine Einigung aussehen?
Kurz vor dem EU-Gipfel zirkulierte ein neuer Entwurf der Gipfelerklärung. Die Nachrichtenagentur AFP zitiert aus dem Entwurf. Demnach kommt der Verweis auf UN-Generalsekretär Guterres darin gar nicht mehr vor. Israel hatte sich zuvor in New York empört über Guterres' Aussage geäußert, wonach die Palästinenser seit Jahrzehnten unter "erstickender Besatzung" Israels lebten.
Stattdessen will die EU laut dem Textentwurf nun dazu aufrufen, humanitäre Hilfe "durch alle erforderlichen Maßnahmen, einschließlich einer humanitären Pause" zu den Bedürftigen zu bringen. Die Formulierung im Singular dürfte aber weiterhin von Deutschland und anderen EU-Staaten kritisch gesehen werden und zu weiteren Diskussionen führen.
(Quellen: AFP, dpa, Reuters)