Blick vom Weingut auf die israelisch-libanesische Grenze
reportage

Winzer im Norden Israels "Wir hoffen stets, dass es ruhig bleibt"

Stand: 16.11.2023 02:44 Uhr

Im Norden Israels leben die Menschen in Angst. Der Beschuss aus dem Libanon nimmt zu - verantwortlich gemacht wird die Hisbollah. Wie gehen die Bewohner der Grenzregion damit um? Besuch auf einem Weingut.

Von Kilian Neuwert, zzt. ARD Tel Aviv

Über eine Stahltreppe geht es nach oben: Winzer Guy Eshel führt hinauf auf einen Gärtank. Dort weht eine israelische Flagge. Von einer Plattform aus lässt sich die hügelige Region überblicken. Rund acht Kilometer nördlich liegt die Grenze zum Libanon. Von dort aus nimmt die Hisbollah-Miliz Israel unter Beschuss. Einige der Weinberge liegen direkt an der Grenze. Sie jetzt nach der Weinlese zu pflegen, sei viel zu gefährlich, sagt Winzer Guy Eshel. "Das ist frustrierend, wir sind sehr besorgt, vor allem, weil viele unserer Arbeiter gar nicht nach Hause können."

Einer dieser Arbeiter ist Rafi Biton. Er ist mit hinaufgestiegen auf den Gärtank, trägt eine schwarze Kippa auf dem Kopf. Sein Heimatort Avivim ist in Sichtweite, aber unerreichbar. Die Ortschaft wurde evakuiert, da sie direkt an der Grenze liegt. Biton ist in der Nähe untergekommen. Wie lange das so bleiben soll, weiß er nicht: "Es ist sehr wichtig für uns Arbeiter, dass es hier weitergeht."

Ab dem Mittag ist mit Raketenbeschuss zu rechnen

Darum bemühen sie sich auf dem Weingut. Doch sie sind weit hinter dem Zeitplan, berichtet Guy Eshel. Die Flaschen lagern sie noch auf Paletten im Hof. Dabei darf die Arbeit auf dem Weingut in Dalton eigentlich gerade nicht liegen bleiben. Es gibt viel zu tun. Die Lese des aktuellen Jahrgangs ist erfolgt, Arbeiter füllen Wein ab - aus den Gärtanks in die Fässer. Rund 1.400 lagern in einer großen Halle.

Die Belegschaft fängt früh an, um überhaupt etwas zu schaffen. Ab der Mittagszeit ist mit Raketen- oder Mörserbeschuss zu rechnen. "Wir hoffen stets das Beste, hoffen, dass es ruhig bleibt", sagt Eshel. "Aber es können Drohnen in der Luft sein oder Raketen werden abgefeuert. Dann müssen wir die Arbeit einstellen und sofort in den Bunker."

Ein Arbeiter befüllt ein Weinfass auf dem Weingut in Dalton.

Ein Arbeiter befüllt ein Weinfass auf dem Weingut in Dalton.

Die Vorwarnzeit bei einem Angriff ist extrem kurz

Ob das auch an diesem Tag so sein wird? Das Grollen der Triebwerke israelischer Kampfjets ist in der Ferne zu hören. Gut möglich, dass sie Angriffe auf Stellungen im Libanon geflogen haben. Ein gewisses Gefühl der Unsicherheit begleitet diesen Besuch auf dem Weingut. Die Vorwarnzeit bei einem Angriff ist extrem kurz - ganz anders als in der Küstenmetropole Tel Aviv.

Die Menschen hier im Norden Israels aber leben tagtäglich mit eben dieser Ungewissheit. Die vergangenen Tage gelten als bisheriger Höhepunkt der Kampfhandlungen im Norden seit dem 7. Oktober. Amit Sofer, Präsident der Regionalverwaltung, machte seinem Ärger darüber in einem Radiointerview Luft: "Man wacht mit Explosionsgeräuschen auf und geht damit schlafen. Die Kinder haben Angst. Wir leben jetzt seit über einem Monat mit dieser Realität. Das muss sich ändern. Ich verstehe, dass es noch eine Front gibt. Die Front im Süden. Aber man muss verstehen, dass es auch hier im Norden Zustände wie im Krieg gibt. Die Regierung muss endlich eine Entscheidung treffen." Was genau Sofer mit so einer Entscheidung meint, ließ er offen.

Angst und Ungewissheit der Winzer an der israelisch-libanesischen Grenze

Mittagsmagazin, 15.11.2023 13:00 Uhr

Ein paar Soldaten machen Brotzeit

Alex Haruni hat das Weingut in Dalton 1995 mit seinem Vater gegründet. Er hat den Libanon-Krieg 2006 erlebt. Damals hätten sie durchgearbeitet, erinnert er sich: "2006 wurde im Sommer gekämpft. Das war vor der Ernte. Es war ruhig auf dem Weingut. Und die Hisbollah war nicht so gefährlich. Und fast jeder von uns hier war noch Single. Für uns war das auch ein Abenteuer. Wir wussten, dass der Konflikt vom Ausmaß her begrenzt sein würde."

So eine Einschätzung traut er sich heute nicht mehr zu. Haruni lädt ein zu einem Glas Wein auf der Terrasse des Bistros auf dem Weingut. Kunden kommen gerade kaum welche. Dafür sitzen ein paar Soldaten hier, machen Brotzeit. Ihre Einheit ist irgendwo in der Nähe stationiert. Sie bitten darum, weder abgebildet noch interviewt zu werden. Die Situation ist ernst, auch wenn die Weltöffentlichkeit nach Gaza blickt.

"Das ist eine schreckliche Art und Weise zu leben"

"Wenn du dir jetzt keine Sorgen machst, bist du ein Idiot", sagt Haruni. "Ich mache mir Sorgen über die Lage im Norden genau wie über die Lage im Süden. Verwandte von mir dienen in der Armee. Das Erste, was wir jeden Tag machen: Wir schlagen die Zeitung auf und sehen nach, ob jemand getötet wurde. Das eine schreckliche Art und Weise zu leben!"

Dann führt Haruni gemeinsam mit Winzer Guy Eshel ins Gebäude gegenüber, wo auch die Fässer lagern. Hier befindet sich einer der Bunker. Genutzt wird er als Büro.

Später am Tag werden Einschläge gemeldet

Die Mittagszeit bricht an, Beschuss wird damit wahrscheinlicher. Am Tag zuvor musste die Belegschaft im Bunker Zuflucht suchen. Ein Handyfoto zeigt die Männer mit einem Lachen im Gesicht. Es macht den Eindruck, als würden sie die Situation ernst nehmen, sich aber nicht einschüchtern lassen.

Eshel ist trotzdem froh, dass es ruhig bleibt, zumindest während unseres Besuchs: "Gut, dass wir arbeiten können. Und es ist wichtig, dass wir weitermachen, solange es eben geht." Erst später am Tag werden Einschläge an der Grenze gemeldet. Bilder von Explosionen in den Hügeln Nordisraels - sie wurden häufiger in den letzten Tagen.