Völkerrecht Was ist im Krieg erlaubt?
Nach dem Angriff der Hamas hat Israel den Kriegszustand erklärt, bombardiert Ziele im Gazastreifen und prüft eine Bodenoffensive. Was erlaubt das Völkerrecht und welche Antworten hat es auf die Verbrechen der Hamas?
Darf Israel sich nach den Angriffen wehren?
In der Charta der Vereinten Nationen ist das Gewaltverbot elementar. Bewaffnete Konflikte sollen vermieden werden. Darauf haben sich die 193 Staaten, die den Vereinten Nationen angehören, geeinigt. Aber: Wird ein Staat angegriffen, hat er das Recht zur "Selbstverteidigung". Gegenüber anderen Staaten garantiert das Artikel 51 der UN-Charta.
"Der dürfte hier zwar nicht greifen, weil die Hamas eine Terrororganisation und kein Staat ist. Und dennoch hat Israel das Selbstverteidigungsrecht auch in diesem Fall. Das ergibt sich aus dem Völkergewohnheitsrecht", erklärt Christoph Safferling, Professor für Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Direktor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien. Israel darf sich also gegen die Angriffe der Hamas zur Wehr setzen. Allerdings nach den Regeln und in den Grenzen, die das humanitäre Völkerrecht vorgibt, an die Israel als Staat gebunden ist.
Wo liegen die Grenzen?
Ein gängiger Grundsatz im Völkerrecht ist die größtmögliche Schonung der Zivilbevölkerung. Bei allem, was Israel tut, muss es diesen Grundsatz beachten und darf nicht gezielt Zivilisten angreifen. Die Kriegshandlungen müssen sich also auf die Terroristen der Hamas beschränken. Außerdem müssen die Handlungen verhältnismäßig sein. Israel darf Gewalt immer nur zur Selbstverteidigung anwenden. Also das tun, was erforderlich ist, um die Gefahr und den bestehenden Angriff tatsächlich zu beenden.
Wie klar lässt sich das abgrenzen?
Schon die Frage, was genau erforderlich ist, um den Angriff endgültig zu stoppen, lässt sich nicht einfach beantworten. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gab es für den Einsatz in Afghanistan ein Mandat des UN-Sicherheitsrates. "Ein solches Mandat wird es derzeit nicht geben aufgrund der Situation im Sicherheitsrat. Aber das zeigt, dass das Völkerrecht in einer ähnlichen Situation relativ viel zugelassen hat", so der Völkerrechtsexperte Safferling.
Was bedeutet größtmögliche Schonung der Zivilbevölkerung?
So grausam das ist: Das humanitäre Völkerrecht erkennt Opfer in der Zivilbevölkerung als sogenannte Kollateralschäden eines bewaffneten Konflikts an. Klar ist aber: Zivile Objekte wie Krankenhäuser, Wohnhäuser oder Schulen dürfen nicht angegriffen werden. Doch auch hier ist die Abgrenzung während eines Krieges oft schwierig.
Wenn eine Kriegspartei zum Beispiel ein Krankenhaus teilweise als Waffenlager benutzt oder wenn aus einem Wohnhaus Raketen abgeschossen werden, handelt es sich nicht mehr um ein ziviles Objekt, auch wenn sich trotzdem noch Zivilbevölkerung im Gebäude befindet. Trotzdem muss der Angriff verhältnismäßig sein, aber das zeigt die Schwierigkeit im Einzelfall.
Ist die Sperrung von Strom und Wasser verhältnismäßig?
Israel hat sehr schnell angekündigt, den Gazastreifen zu blockieren und von Strom, Wasser, Benzin und Lebensmitteln abzusperren. Eine Maßnahme, mit der man natürlich auch oder vor allem die Zivilbevölkerung trifft. Wenn Israel das über einen längeren Zeitraum betreibt, dürfte das gegen den Grundsatz der größtmöglichen Schonung der Zivilbevölkerung verstoßen.
"Ich glaube, das ist insgesamt völkerrechtswidrig", sagt Christoph Safferling. "Sobald dadurch die Gefahr besteht, dass Menschen ums Leben kommen, weil sie in Krankenhäusern nicht behandelt werden können oder verhungern, wird es sogar zum Verbrechen." Denn: Das Römische Statut regelt klar, dass es ein Kriegsverbrechen ist, wenn man die Bevölkerung vorsätzlich verhungern lässt. Allenfalls sei das mal für ein paar Tage zulässig, um einen Angriff vorzubereiten, so der Völkerrechtsexperte.
Ist eine israelische Bodenoffensive vom Völkerrecht gedeckt?
Wenn die Bodenoffensive tatsächlich zur Selbstverteidigung zwingend erforderlich sein sollte, weil man den Angriff der Hamas aus der Luft nicht beseitigen kann, so dürfte das Völkerrecht auch die Bodenoffensive gestatten. Natürlich immer unter Berücksichtigung der größtmöglichen Schonung der Zivilbevölkerung und der Verhältnismäßigkeit.
Wie ist das Vorgehen der Hamas völkerrechtlich zu betrachten?
Die Hamas ist eine Terrororganisation und kein Staat. "Die Hamas ist aber aus meiner Sicht dennoch nach Völkergewohnheitsrecht an das humanitäre Völkerrecht gebunden, so wie das auch beim IS anerkannt ist", erklärt Safferling. Die gezielten Tötungen und Verschleppungen von Zivilisten verstoßen natürlich klar gegen das humanitäre Völkerrecht. Außerdem stellen die Angriffe nach allem, was man weiß, auch klare Kriegsverbrechen dar.
Können Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht Konsequenzen haben?
Rechtlich könnte man an ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag denken. Dort kann ein Staat einen anderen wegen Verstößen gegen das Völkerrecht verklagen, wenn sich beide Kriegsparteien dem Gericht unterworfen haben. Israel hat sich aber nicht unterworfen und Palästina wird noch nicht einmal als Staat anerkannt. Eine Ahndung könnte also nur politisch durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrats geschehen.
Können die Verstöße auch strafrechtlich geahndet werden?
Hier ist zunächst an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu denken, der auch in Den Haag sitzt. Am IStGH werden nicht Staaten verklagt, sondern es können einzelne Personen angeklagt werden, wenn ihnen Kriegsverbrechen zur Last gelegt werden.
Das römische Statut regelt, welche Handlungen darunterfallen. Israel hat das Statut zwar bisher nicht anerkannt, aber Palästina. Und der IStGH hat das auch anerkannt. Das heißt, dass der IStGH tatsächlich ermitteln kann, wenn im Gazastreifen Kriegsverbrechen geschehen, aber auch wegen der Kriegsverbrechen der Hamas in Israel. Voraussetzung ist natürlich immer, dass man die einzelnen Täter ermittelt und sie irgendwann auch bekommt, um sie vor Gericht stellen zu können.
Kann es auch in Deutschland zu Strafverfahren kommen?
Ja, nach dem so genannten Weltrechtsprinzip können Kriegsverbrechen auf der ganzen Welt verfolgt werden. Also auch in Deutschland und auch ohne, dass es einen konkreten Bezug zu Deutschland gibt. Weder Täter noch Opfer müsen dafür aus Deutschland kommen. Der Generalbundesanwalt hat bereits ein Strafverfahren gegen unbekannt eingeleitet. Zu Verurteilungen kann es aber nur kommen, wenn die Täter irgendwann zufällig nach Deutschland kommen und hier aufgegriffen werden. Und man muss mögliche Täter vorher ermitteln, zum Beispiel in dem man die vielen Videos der Verbrechen auswertet.