Krieg in Nahost Druck auf Netanyahu wächst von allen Seiten
Wieder beschießt die Hisbollah Israel. Währenddessen wächst die Kritik an Premier Netanyahu: Es mangele an Kommunikation und einer Strategie. Auch US-Präsident Biden fand offenbar deutliche Worte.
Gestern Nacht über dem Himmel von Kiryat Shmona, ganz im Norden Israels: In rascher Folge steigen Flugabwehrraketen des sogenannten Iron Dome hoch, schießen die von der libanesischen Terrormiliz Hisbollah abgefeuerten Raketen ab. Es seien rund 30 Geschosse gewesen. Alle seien abgeschossen worden beziehungsweise auf offenem Gelände niedergegangen, hieß es später von der israelischen Armee.
Während sich Streitkräfte des Landes seit Mittwoch in höchster Alarmbereitschaft befinden, wächst die Kritik an der mangelnden Kommunikation des Premierministers. Es gebe weder von ihm noch von anderen Mitgliedern seiner Regierung die Absicht, der Öffentlichkeit zu erklären, warum Israel binnen weniger Tage vor dem drohenden Ausbruch eines großen Kriegs stehe.
Ex-Armeesprecher: "Was ist das Ziel?"
"Wir haben keine Strategie", sagte der ehemalige Sprecher der Armee, Ron Kochav, im israelischen Fernsehsender Channel 2. "Wir wissen nicht wirklich, was wir als Land, als Nation, als Armee, was das gewünschte Ziel ist."
Deshalb gebe es kein Verständnis dafür, was der nächste Schritt ist. "Was wollen wir?", fragte Kochav. "Wollen wir einen völligen Krieg gegen die Iraner? Nach zehn Monaten Kämpfen in Gaza und im Libanon? Wollen wir aus allen Richtungen angegriffen werden? Wollen wir im Jemen angreifen? Wollen wir mit den Amerikanern zusammenarbeiten?" Die Öffentlichkeit sollte einen "klaren Überblick über den Stand der Dinge haben", so der Ex-Armeesprecher weiter. Die Lage sei kompliziert und "die Wartezeit ist lähmend".
Angriff ab Montag erwartet
Das Heimatschutz-Kommando hat bislang keine Erhöhung der Vorkehrungen für die Zivilbevölkerung bekanntgegeben. Unterdessen ist der US-Kommandeur für die US-amerikanischen Streitkräfte im Nahen und Mittleren Osten, General Michael Kurilla, in der Region eingetroffen.
Wie das gut unterrichtete US-Nachrichtenportal Axios berichtet, bemühten sich die Amerikaner intensiv darum, erneut die gleiche internationale und regionale Koalition wieder zusammenzubringen, die vor vier Monaten den iranischen Raketenangriff nahezu vollständig hatte abwehren können. Mit einem Angriff des Iran würden die USA und Israel bereits ab Montag rechnen, wie Axios unter Berufung auf drei amerikanische und eine israelische Regierungsquellen weiter berichtet.
Biden: "Stop bullshitting me"
Große Aufmerksamkeit widmen die israelischen Medien dem Inhalt des Telefonats von US-Präsident Joe Biden, das er Donnerstagabend mit Premierminister Benjamin Netanyahu geführt hat. Der TV-Sender Channel 12 und die Tageszeitung Haaretz hatten als erste Medien darüber berichtet: Danach habe Biden Netanyahu sehr energisch aufgefordert, "jetzt eine Einigung" über eine Waffenruhe in Gaza zu erzielen.
Darauf habe Netanyahu erwidert, Israel mache Fortschritte bei den Verhandlungen. Biden habe entgegnet: "Stop bullshitting me" - also: "Hören Sie auf, mir Quatsch zu erzählen." Der US-Präsident habe das Telefonat mit den Worten beendet: "Nehmen Sie den Präsidenten nicht als selbstverständlich hin."
Tote in Gaza, Messerattacke bei Tel Aviv
Bei einem israelischen Luftangriff seien am frühen Sonntagmorgen vier Menschen in Deir al Balah im Gazastreifen getötet worden, die in Zelten im Innenhof des Al-Aqsa-Märtyrer-Krankenhauses Zuflucht gesucht hatten, wie Haaretz unter Berufung auf die Gesundheitsbehörde in Gaza meldet.
Bei einer Messerattacke hat ein Palästinenser aus dem besetzten Westjordanland nach Angaben der Polizei am Morgen zwei Passanten in Holon bei Tel Aviv getötet sowie zwei weiteren Menschen verletzt. Der Angreifer sei anschließend von Polizisten erschossen worden.