Syrische Ärzte in der Ukraine "Wir haben das alles schon in Aleppo erlebt"
Wenige Chirurgen sind wohl so erfahren, Kriegsverletzte zu behandeln, wie Ärzte aus Syrien. Ein Team hat die umkämpften Regionen in der Ukraine besucht. Gezielte Angriffe auf Kliniken seien Teil der Strategie Russlands, sagt der Leiter.
Seit einer Woche ist Monzer Yazji mit seinem syrischen Ärzteteam im Kriegsgebiet unterwegs. Sie waren in Kiew, danach im Osten des Landes und dann in Lutsk, einer Stadt im Nordwesten der Ukraine. Auch dort gab es vor wenigen Tagen russischen Raketenbeschuss.
Er sei etwas müde und habe wenig geschlafen, sagt er. Eine Woche lang haben die syrischen Ärzte in den umkämpften Regionen eine Art Bestandsaufnahme gemacht: Welche Notfall-Strukturen müssen aufgebaut werden, welches medizinische Material wird benötigt. In den kommenden Wochen wollen sie in der Ukraine vor allem Kriegsverletzte versorgen.
"Krankenhäuser waren die ersten Ziele"
Das kennen sie, und sie können es auch. Vermutlich gibt es weltweit nur wenige Chirurgen, die im Behandeln von Kriegsverletzungen so viel Erfahrung haben, wie Ärzte aus Syrien. "Wir sind in der Ukraine, um mit den Leuten das zu teilen, was uns geschehen ist", sagt Yazji. "Wir sind hier, um unsere Erfahrungen weiterzugeben."
Yazji, der heute in den USA lebt, ist einer der Leiter der internationalen Hilfsorganisation UOSSM. Sie entstand 2012 während des syrischen Bürgerkriegs als ein Zusammenschluss von Medizinern, die in Ost-Aleppo, Hama oder Homs in Notlazaretten die Schwerverletzten versorgten. Yazji war damals einer der Ärzte. Die Krankenhäuser, die medizinischen Zentren seien die ersten Ziele in Syrien gewesen, erklärt er.
"Ich habe in Aleppo mehrmals direkten Beschuss auf Krankenhäuser erlebt. Und jetzt geschieht hier in der Ukraine das gleiche." Es sei, sagt Yazji, als wiederhole sich die Geschichte. "Sie beschießen Kraftwerke, Wasserreservoirs, Schulen, Krankenhäuser."
Putin pries gesammelte Erfahrung
Die zivile Infrastruktur wird angegriffen, um die Menschen zu demoralisieren. So war das in Syrien, so ist das jetzt in der Ukraine. Im September 2015 intervenierte Russland mit seiner Luftwaffe in Syrien, um dem bedrängten Diktator Baschar al-Assad den Hals und die Macht zu retten. Im Juni 2017 pries Russlands Präsident Wladimir Putin vor Offizieren die "unschätzbaren Erfahrungen", die das russische Militär in Syrien mache.
Nun, fast fünf Jahre später, setzt er sie um: Städte beschießen, umzingeln, belagern, dann sogenannte humanitäre Korridore anbieten, um das Gebiet am Ende zu entvölkern und einzunehmen. Heute ist es Mariupol am Schwarzen Meer, damals waren es Aleppo und Ghuta. "Alle Versprechungen, Zivilisten zu schützen, wurden damals gebrochen, sagt der Chirurg Yazji.
25 Giftgas-Angriffe dokumentiert
Im syrischen Bürgerkrieg hat das russische Militär auch die Erfahrung gemacht, wie man verlustreiche Straßenkämpfe in belagerten Städten vermeidet: mit Chlorgas oder dem chemischen Kampfstoff Sarin. Die vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzte "Unabhängige Internationale Untersuchungskommission für Syrien" hat zwischen 2013 und Ende 2017 mindestens 25 Giftgas-Angriffe dokumentiert, die nachweislich durch das syrische Militär ausgeführt worden.
Immer wieder ignorierte das Regime von Präsident Assad die "rote Linie", die 2012 vom damaligen US-Präsidenten Obama gezogen wurde: Der Einsatz von Chemiewaffen, hieß es in Washington, habe sofort einen Militärschlag der USA zur Folge. Es dürfte zu den "unschätzbaren Erfahrungen" des Syrienkriegs zählen, dass man derartige Drohgebärden nicht unbedingt ernst nehmen muss.
Zuletzt wurde Duma nordöstlich von Damaskus am 7. April 2018 mit einer Chemiewaffe beschossen, mindestens 42 Menschen starben im Giftgas. Wie üblich behaupteten Assad und Putin danach unisono, es seien aufständische Milizen gewesen, nicht die Armee. "Wenn sich auch das in der Ukraine wiederholen würde, wäre es ein Desaster", sagt Yazji.