Boomland in Südostasien Vietnams erfolgreiche "Bambus-Politik"
Das geschickte Balancieren zwischen völlig unterschiedlichen Partnern hat Vietnam in eine Schlüsselposition für die Region gebracht. Und davon profitiert das Land enorm, vor allem wirtschaftlich.
In Hanoi geben sich die Mächtigen die Klinke in die Hand. Erst im vergangenen Jahr waren die zwei wohl mächtigsten Politiker, US-Präsident Joe Biden und Chinas Staatschef Xi Jinping, zu Besuch.
Es ist spannend, zu beobachten, wie das nahezu 100 Millionen zählende, aufstrebende Land in Südostasien von den Großen hofiert wird.
Mit den USA ist Vietnam eine "umfassende strategische Partnerschaft" eingegangen, das ist der höchste diplomatische Beziehungsstatus. Mit China verabredete man sich kurz darauf dazu, eine "gemeinsame Zukunft" aufzubauen. Und offenbar ist das für alle Partner in Ordnung so.
Vietnam schafft es, den Fokus jeweils auf die Zusammenarbeit zu legen und die Spannungen herunterzuspielen. Und nebenbei verbündet es sich auch noch mit anderen wichtigen Partnern, wie Japan zum Beispiel und vergrößert so das eigene Netzwerk.
"Vietnam will sich nicht entscheiden zwischen den Mächten, sondern im eigenen Interesse mit allen befreundet sein. Es kann die Rivalität für sich nutzen", analysiert Huong Le Thu von der Nichtregierungsorganisation International Crisis Group dem TV-Sender Channel News Asia.
Vietnam ist ein strategischer Partner für alle
Hanois Außenpolitik wird häufig als "Bambus-Politik" bezeichnet: Biegsam und flexibel in alle Richtungen, aber wie ein Bambusstock nicht leicht zu brechen.
Politische Beobachter sehen in den vergangenen Jahren aber eine aktivere Rolle Vietnams: die multidirektionale Außenpolitik des Landes bestehe darin, ein Netzwerk aus unterschiedlichen Partnern aufzubauen, um damit China in Schach zu halten. "Vietnam managt die Großmächte", sagt Ngyuen Khac Giang, Vietnam-Experte der Singapurer Forschungseinrichtung ISEAS im ARD-Interview.
China und Vietnam verbindet die Ideologie: beides sind kommunistische Regime, autoritär regierte Einparteiensysteme. Sie nutzen die Beziehung zueinander auch zur gegenseitigen Legitimation.
Aber Vietnam, das als ehemaliger Verbündeter der Sowjetunion in den 1970er- und 1980er-Jahren mit China verfeindet war, hat weiterhin ein angespanntes Verhältnis zum großen Nachbarn im Norden. Nach wie vor ist Vietnam mit China in Konflikt um Hoheitsansprüche im Südchinesischen Meer und wegen des zunehmend aggressiven Vorgehens Chinas. Es herrscht Misstrauen gegenüber dem nördlichen Nachbarn.
Sicherheitspolitisch ist die USA daher als Partner in der Region von großer Bedeutung. Die Amerikaner, noch vor fünfzig Jahren Kriegsgegner, wurden von den siegreichen Vietnamesen mittlerweile zum Freund erklärt.
Wachsende Bevölkerung, rasante Entwicklung
Die sozialistische Volksrepublik zieht sich als schmales Land entlang der Westküste des Südchinesischen Meeres. Im Norden liegt die Hauptstadt Hanoi, im Süden die Wirtschaftsmetropole Ho-Chi-Minh-Stadt, die früher den Namen Saigon trug.
Fast 100 Millionen Menschen leben in Vietnam. Eine überwiegend junge Bevölkerung, den größten Anteil haben dabei die 30- bis 34-Jährigen. Die Gesellschaft gilt als bildungsaffin und leistungsbereit. Es ist meist hektisch auf den Straßen und überall werden die roten Nationalflaggen mit dem gelben fünfzackigen Stern verkauft.
Die sozialistische Volksrepublik legt eine rasante Entwicklung hin. Das Wirtschaftswachstum lag im vergangenen Jahr bei fünf Prozent und damit höher als bei vielen anderen. Es gilt als eine der dynamischsten Volkswirtschaften in Südostasien. Auch deshalb wird es von allen hofiert, auch von Europa.
Vor drei Jahren wurde mit der EU ein Freihandelsabkommen vereinbart (EVFTA), auch mit anderen Staaten hat Vietnam bilaterale Handelsverträge geschlossen.
Vietnam profitiert von neuer Strategie
Momentan profitiert das Land vor allem von der Diversifikationsstrategie westlicher Unternehmen. "China plus One": Viele Länder, unter anderem auch Deutschland, wollen ihre Produktionsstandorte verteilen, um unabhängiger zu werden von China. Das ist spürbar in Vietnam: Zahlreiche Unternehmen investieren hier in den Bau von Fabriken für das Exportgeschäft.
Marko Walde leitet die deutsche Auslandshandelskammer in Ho-Chi-Minh-Stadt. Den momentanen Boom führt er auch auf das Freihandelsabkommen zurück: "Vietnam hat da ein absolutes Alleinstellungsmerkmal in der Region." Zu den positiven Folgen der Unternehmensansiedlungen zählt er unter anderem die Weiterentwicklung von Provinzen, die vorher nicht im Fokus waren.
Um den Erfolg stabil zu halten, müsse sich Vietnam aber auf Nachhaltigkeitsansprüche der Wirtschaftspartner konzentrieren, zum Beispiel bei der Energieversorgung.
Die Regierung in Hanoi tut alles dafür, um die Investitionen so leicht wie möglich zu machen. Auch im Hightech-Bereich gibt sich das Land ambitioniert und setzt nun auch auf die Ausbildung von Fachkräften für die Chipherstellung.
Neben China und Brasilien verfügt Vietnam über enorme Vorkommen an Seltenen Erden, die unter anderem für die Produktion von Mikrochips verwendet werden. Auch dieser Rohstoffschatz macht das Land interessant für internationale Investoren, die ihre Lieferketten unabhängiger machen wollen von China.
Menschenrechte sind ein heikles Thema
Vietnams zunehmende geopolitische Bedeutung im Machtkampf zwischen China und den USA hat aber auch Schattenseiten. "Es wird von den westlichen Partnern weniger Druck ausgeübt, um die Menschenrechtssituation in Vietnam zu verbessern", berichtet Ngyuen Khac Giang, Vietnam-Experte der Singapurer Forschungseinrichtung ISEAS.
Dabei gebe es gerade in letzter Zeit ein sehr hartes Durchgreifen gegen die Zivilgesellschaft, gegen Umweltschutzorganisationen zum Beispiel. Die Menschenrechts-Organisation Amnesty International schreibt in ihrem Jahresbericht: "Menschenrechtsverteidiger*innen waren Schikanen, digitaler Überwachung, willkürlicher Festnahme und politisch motivierter Strafverfolgung ausgesetzt. Folter und andere Misshandlungen wurden nach wie vor in besorgniserregendem Ausmaß gemeldet."