Brexit-Abstimmung Johnson will das Land "heilen"
Der britische Premier Johnson hat das Parlament um Zustimmung zu seinem Brexit-Deal gebeten. Er sprach von einer "historischen Gelegenheit". Oppositionschef Corbyn kritisierte, das Abkommen sei schlechter als frühere Vereinbarungen.
Das britische Unterhaus ist zu einer historischen Sondersitzung zusammengekommen, um über das neue Brexit-Abkommen abzustimmen. Premierminister Boris Johnson appellierte an die Abgeordneten, für seinen Deal zu stimmen. "Lasst uns den Deal umsetzen, der das Land heilen kann", sagte er in seinem Statement. Das Abkommen sei ein "neuer Weg nach vorne" und "ein neuer und besserer Deal" für Großbritannien und die EU, sagte er. Das Parlament habe eine "eine historische Gelegenheit".
Die Einigung mit der EU sei ein "großartiger Deal". Es sei die "größte einzelne Wiederherstellung nationaler Souveränität in der Geschichte des Parlaments". Ein Ja für den Vertrag werde dem Land "die Kontrolle zurück" über seine Grenzen, die Fischerei und den Handel geben und außerdem die Errungenschaften des Karfreitagabkommens bewahren, das zum Ende der Gewalt in Nordirland beitrug.
Die Möglichkeiten und die Bereitschaft in der EU für weitere, fruchtbare Verhandlungen seien zudem begrenzt. "Unsere Freunde in der EU haben wenig Lust darauf, dass sich dieses Geschäft noch einen einzigen weiteren Tag verzögert." Von den Oppositionsbänken gab es großen Protest, von Seiten der Regierung Zustimmung.
Labour-Chef Jeremy Corbyn hält den von Johnson ausgehandelten Deal für schlimmer als frühere Abkommen.
Corbyn lehnt Abkommen ab
Oppositionsführer Jeremy Corbyn übte scharfe Kritik an der von Johnson ausgehandelten Vereinbarung. Das Vertragswerk sei noch schlimmer als die vorhergehenden Abmachungen mit der EU, sagte Corbyn. Großbritanniens Zusage werde damit verringert, gegen dem Klimawandel zu kämpfen - außerdem schade der Vertrag britischen Betrieben.
Johnsons Beteuerungen, Arbeitnehmerrechte und Umweltstandards nicht zu senken, seien "leere Versprechungen", sagte Corbyn. Der Brexit-Deal führe unweigerlich zu einem Handelsabkommen nach Manier des US-Präsidenten Donald Trump. "Man kann ihm kein Wort glauben."
Johnsons Vorgängerin Theresa May war mit dem von ihr ausgehandelten Brexit-Vertrag mehrfach im britischen Parlament gescheitert. Corbyn warf Johnson vor, eine Abstimmung an diesem Samstag würde den Brexit nicht beenden, und auch keine Sicherheit bringen. Vielmehr solle das britische Volk das letzte Wort haben.
Ausgang ungewiss
Nach dem Johnsons Statement zum Verlauf des EU-Gipfels und zu seinem Brexit-Abkommen dürfte es eine mehrstündige Debatte geben. Mit dem Beginn der Abstimmungen wird gegen 15.30 Uhr gerechnet.
Der Ausgang der Abstimmung ist völlig ungewiss, da Johnsons konservative Regierung über keine eigene Mehrheit verfügt. Um sein Abkommen durchs Unterhaus zu bringen, braucht er 320 Stimmen. Johnson muss die Brexit-Hardliner innerhalb seiner eigenen Konservativen Partei überzeugen, ebenso wie ehemalige Tory-Abgeordnete, die er selbst aus der Partei geworfen hatte, weil sie gegen seinen Brexit-Kurs gestimmt hatten.
Außerdem versucht Johnson, oppositionelle Labour-Abgeordnete auf seine Seite zu bringen, deren Wahlkreise den Brexit befürworten. Die Opposition hat bereits angekündigt, gegen den Austrittsvertrag zu stimmen. Auch die mit den Tories verbündete nordirische Partei DUP reagierte ablehnend.
Erneute Verschiebung möglich
Die Abgeordneten wollen zudem noch Änderungsanträge einbringen. So ließ Parlamentspräsident John Bercow bereits einen Antrag des Abgeordneten Oliver Letwin zu, der Johnson dazu zwingen könnte, bei der EU einen weiteren Brexit-Aufschub bis zum 31. Januar zu beantragen.
Das Parlament soll Johnsons Abkommen demnach erst dann definitiv zustimmen, wenn das gesamte für den EU-Austritt nötige Gesetzespaket verabschiedet ist. Letwin will nach eigenen Angaben verhindern, dass es doch noch zu einem ungeregelten Brexit kommt, falls die Abgeordneten die nötigen Gesetzesänderungen nicht bis zum 31. Oktober durchs Parlament bringen.
Johnson warnte in seiner Rede vor einer erneuten Brexit-Verschiebung. Eine erneute Verzögerung sei sinnlos, teuer und werde das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik "zutiefst" zerstören, sagte der Premierminister. Nach Informationen von ARD-Korrespondentin Annette Dittert könnte eine Zustimmung zu Letwins Antrag dazu führen, dass Johnson sein Abkommen heute nicht mehr zur Abstimmung stellt.
Die EU und Großbritannien hatten sich am Donnerstag auf ein neues Brexit-Abkommen geeinigt und die hochumstrittene Frage des Status der britischen Provinz Nordirland geklärt.