Britisches Parlament Lautstarke Rückkehr aus der Zwangspause
Rund anderthalb Wochen galt für das britische Parlament die Zwangspause. Doch die Zeit reichte für viel angestaute Wut - und der ließen die Abgeordneten in der ersten Sitzung Luft.
"Order! Willkommen zurück an Ihrem Arbeitsplatz." Der Speaker des Unterhauses, John Bercow, hatte sichtlich Freude daran, dass diese Zwangspause für ihn und seine Abgeordneten schneller als erwartet zu Ende gegangen ist.
Das Ende des Parlamentsurlaubs kam so überraschend, dass einige Abgeordnete noch in der Luft waren und es nicht rechtzeitig zum Beginn der Sitzung schafften. Der Premierminister brach seinen Aufenthalt bei der UN-Vollversammlung in New York ab und flog in der Nacht zurück nach London.
Parlament fordert Dokumenteneinsicht
In die hitzige Debatte schickte Boris Johnson aber erst einmal seinen Generalstaatsanwalt, der die Niederlage der Regierung vor dem Supreme Court akzeptierte. "Wir haben verloren, aber wir haben in gutem Glauben gehandelt", sagte Geoffrey Cox.
Genau das bestritten die Opposition und auch die konservativen Rebellen, die aus der Tory-Fraktion ausgeschlossen worden waren. Sie alle forderten die Regierung auf, den umfangreichen Schriftwechsel zu veröffentlichen, der zu der Entscheidung geführt hatte, das Parlament in die Zwangspause zu schicken. Und der belegen könnte, dass Johnson und seine Minister die Queen hinters Licht geführt haben, als sie die Zwangspause mit der Vorbereitung einer Regierungserklärung begründeten, tatsächlich aber das Parlament vor dem Brexit lahmlegen wollten.
Cox: "Totes Parlament" gehört aufgelöst
Rory Stewart, einer der konservativen Rebellen, forderte die Regierung auf, zu akzeptieren, dass allein das Unterhaus die Art des Austritts aus der EU bestimmen dürfe. Diese Intervention des ehemaligen Fraktionskollegen ließ den bis dahin relativ ruhigen Generalstaatsanwalt explodieren. Er warf den Abgeordneten vor, alles zu blockieren und die Entscheidung der Mehrheit des Volkes für den Austritt aus der EU zu konterkarieren.
Das Unterhaus sei "ein totes Parlament". Es gehöre aufgelöst. Die Abgeordneten hätten das moralische Recht verwirkt, auf den grünen Bänken zu sitzen, so der immer wütender werdende Cox.
Cox, die Tories, Premier Johnson - "eine Schande"
Daraufhin schwoll auch der Opposition der Kamm. Der Labour-Abgeordnete Barry Sheerman schimpfte mit hochrotem Kopf:
Sie schämen sich ja nicht einmal dafür, dass sie in zynischer Weise die Entscheidung für die Zwangspause manipuliert und diese demokratische Versammlung lahmgelegt haben. Stattdessen kommen sie mit ihrem Juristengeschwätz daher, um die Wahrheit zu verschleiern. Ein Mann wie Sie, eine Partei, wie die Ihre und dieser Premierminister mit all dem Geschwafel von Moral sind eine Schande!
Kompromisse suchen, statt sich gegenseitig aufstacheln
Ähnlich deutlich, aber ruhiger fiel die Kritik der vor kurzem zurückgetretenen Sozialministerin Amber Rudd aus. Die konservative Politikerin forderte ihren Parteifreund Cox auf, mit den Abgeordneten zusammen nach Kompromissen zu suchen und nicht etwa das Volk gegen das Parlament aufzustacheln.
Die Nerven liegen jedenfalls blank in der britischen Politik - nach der Zwangspause und nach dem Urteil des Supreme Court noch mehr als zuvor. Es ist völlig offen, wohin das am Ende führen wird. Und völlig offen, wann, ob und wie das Land aus der EU austreten wird.