Parlamentspause rechtens? Johnsons Brexit-Kurs vor Gericht
Kritik an der von Johnson verhängten Parlamentspause gibt es reichlich. Aber ist sie ungesetzlich? Bisher waren die Urteile widersprüchlich - nun muss Großbritanniens Oberster Gerichtshof entscheiden.
Unter lautstarkem Protest waren die britischen Unterhausabgeordneten letzte Woche in eine lange parlamentarische Zwangspause gegangen. "Schämt euch", skandierte die Opposition und sandte Buh-Rufe in Richtung Regierungsbank, denn auf Betreiben von Premierminister Boris Johnson war die Pause verfügt worden. Erst am 14. Oktober sollen die Abgeordneten zurückkommen, wenn die Queen das neue Regierungsprogramm vorstellt.
Die Suspendierung beschäftigt nun den Obersten Gerichtshof des Landes. Heute beginnt die Anhörung zu der Frage, ob sie rechtmäßig ist. 78 Parlamentarier hatten in Schottland dagegen geklagt. In erster Instanz hatten sie verloren. Das höchste schottische Zivilgericht gab ihnen jedoch Recht und befand in zweiter Instanz, die Zwangspause sei ungesetzlich, weil sie darauf abziele, die Abgeordneten kaltzustellen. Sie sei daher null und nichtig.
Entscheidung frühestens Freitag
Völliger Humbug, so Johnson jetzt. Der Premier verteidigte die Verhängung der Pause erneut. Die parlamentarische Sitzungsperiode sei die längste seit Jahrhunderten gewesen, er brauche die Parlamentspause zur Ausarbeitung des neuen Regierungsprogramms.
Johnsons Regierung hatte beim Londoner Supreme Court Berufung gegen die Entscheidung der Richter in Edinburgh eingelegt. Mit einer Entscheidung wird frühestens Freitag gerechnet.
Zwei weitere Klagen gegen die Zwangspause, vor dem High Court in London und dem High Court im nordirischen Belfast, waren abgelehnt worden. Auch diese Entscheidungen soll der Oberste Gerichtshof überprüfen.
Gericht gibt es erst seit 2005
Der Supreme Court war erst 2005 auf Initiative der damaligen Labour-Regierung von Tony Blair geschaffen worden. Er ist oberste gerichtliche Instanz in Zivilsachen für das gesamte Vereinigte Königreich und hat auch verfassungsrechtliche Zuständigkeiten. Vor 2005 war das Oberhaus oberstes Berufungsgericht. Das allerdings widersprach dem Prinzip der Gewaltenteilung. Schließlich üben die "Lords" auch gesetzgebende Gewalt aus.
Bekannt wurde das Urteil des Supreme Court vom Januar 2017. Danach musste Premierministerin Theresa May ihre Brexit-Pläne vor dem Austritt aus der Europäischen Union dem Parlament vorlegen. Das hat sich seither mehrfach gegen die Einigung, die mit Brüssel erzielt worden war, ausgesprochen.
Gegenwind vom Vor-Vorgänger
Selbst Kritiker der Brexit-Politik von Johnson halten die Zwangspause, die auf sein Betreiben verhängt wurde, nicht unbedingt für ungesetzlich. Die Maßnahme sei aber schäbig gewesen, meinte jetzt Johnsons Vor-Vorgänger im Amt des Premierministers, David Cameron. Von außen betrachtet wirke Johnsons Maßnahme wie ein hinterhältiger Schritt zur Behinderung der Debatte im Parlament. Vermutlich sei der Schritt kontraproduktiv, so Cameron weiter. Die Regierung müsse mit dem Parlament arbeiten - und die Mehrheit zugunsten eines geregelten Brexit sei nun mal nicht zu leugnen. Cameron, der das Brexit-Referendum 2016 angesetzt und sich für den Verbleib in der EU stark gemacht hatte, äußerte sich zum ersten Mal seit seinem Rücktritt.
Die Zwangspause sei vor allem aus politischen Gründen unzulässig, findet der Abgeordnete David Gauke. Gauke erinnerte daran, dass der 31. Oktober näher rückt, der Termin des britischen Austritts aus der Europäischen Union. Deshalb sei die Sitzung des Parlaments nötig. Auch, um die Pläne der Regierung für einen harten Brexit prüfen, denn den will der Premier wohl riskieren. Gauke gehört zu jenen 21 Abgeordneten, die aus der konservativen Unterhausfraktion ausgeschlossen worden waren, weil sie gegen die Brexit-Politik des Premiers gestimmt hatten.
Ein neues Abkommen sei noch möglich, beteuert Johnson - doch die EU wartet nach eigenen Angaben noch immer auf konkrete Vorschläge.
Wieder kein Durchbruch
Johnson muss auf Geheiß des Unterhauses bis Mitte Oktober eine einvernehmliche Regelung mit Brüssel finden oder dort um Aufschub des Austritts bitten. Der Premierminister bleibt jedoch dabei, dass er die Briten am 31. Oktober aus der EU herausführen will - auch ohne Abkommen.
Es gebe immer noch eine gute Chance auf eine Vereinbarung mit der EU, erklärte Johnson jetzt nach einem Treffen mit Kommissionschef Junker. Doch einen Durchbruch gab es auch diesmal nicht.