Brexit-Verhandlungen Murmeltierwochen in Brüssel
Wieder nicht vorangekommen! Auch die dritte Runde der Brexit-Verhandlungen zwischen EU und Großbritannien führte zu keinem Ergebnis. Es sei wie in dem Film "Und täglich grüßt das Murmeltier", meint Holger Romann - als wären Akteure und Beobachter in einer Zeitschleife gefangen.
Als leidgeprüfter Brexit-Zaungast fühlt man sich an die bekannte Hollywood-Komödie "Groundhog Day" aus den 90er-Jahren erinnert. Der deutsche Titel lautet "Und täglich grüßt das Murmeltier". In dem Kultfilm reist ein von Job und Privatleben gelangweilter und daher chronisch schlechtgelaunter TV-Reporter in ein Provinznest in Pennsylvania, wo alljährlich ein Erdhörnchen namens "Punxsutawney Phil" das Ende des Winters vorhersagt. Der Pflichttermin wird zum Albtraum, denn der zynische Wettermann findet sich über Nacht in einer Zeitschleife gefangen und muss den "Murmeltiertag" wieder und wieder durchleben.
Dasselbe verstörende Gefühl vom "Groundhog Day" stellt sich ein, wenn man die gemeinsamen Auftritte der Brexit-Unterhändler Michel Barnier (EU) und David Davis (Großbritannien) während der aktuellen Verhandlungen in Brüssel verfolgt - nur dass sich das Déjà-vu in diesem Fall über fast eine Woche dehnt.
"Brexit-Bingo" für besonders häufige Floskeln
Monat für Monat wird der Brite samt Expertenteam von seinem EU-Kollegen in Brüssel empfangen. Man tauscht ein paar Höflichkeiten aus, dann wird einige Tage hinter verschlossenen Türen verhandelt. Und schließlich treten beide vor die Presse, um wortreich zu verkünden, dass sie auch diesmal wieder nicht vorangekommen sind, sich aber weiter redlich bemühen werden.
Weil sich Bilder und Worte gleichen, haben angelsächsische Journalisten mit Sinn für schwarzen Humor schon das "Brexit-Bingo" erfunden, bei dem man besonders häufig wiederkehrende Floskeln der Protagonisten abhaken kann. Es geht um Sätze wie "Die Uhr tickt", "Wir brauchen Klarheit" oder "Wir wollen einen fairen Deal".
Bittere Realität
Wäre das Ganze Fiktion oder Satire, man könnte darüber lachen und zur Tagesordnung übergehen. Doch der Brexit ist bittere Realität. Und Barnier sowie Davis sind erfahrene, gut bezahlte Beamte und keine Murmeltiere.
Auf dem Spiel steht das persönliche Schicksal von viereinhalb Millionen EU-Bürgern beiderseits des Ärmelkanals und ihrer Familien, aber auch der vergleichsweise junge Friede in Nordirland, stabile EU-Finanzen und Rechtssicherheit für Zehntausende europäische Unternehmen. Zur Erinnerung: Jedes Jahr werden zwischen Insel und Kontinent Waren für fast 500 Milliarden Euro gehandelt. Der Wert der Dienstleistungen beträgt über 200 Milliarden. Sie bilden die Basis unseres Wohlstands.
Die Chefunterhändler David Davis, Großbritannien, und Michel Barnier, EU, mit ihren Delegationen in Brüssel.
Mit Verhandlungstaktik nicht zu entschuldigen
Dass fünf Monate nach dem offiziellen Brexit-Start und in mittlerweile drei Gesprächsrunden kaum nennenswerte Fortschritte bei zentralen Trennungsfragen erzielt wurden, ist angesichts des knappen Zeitplans und der Bedeutung für Europas Zukunft alarmierend und mit Verhandlungstaktik nicht zu entschuldigen. Es erhöht vielmehr das Risiko, dass kein brauchbarer Abschluss zustande kommt, und die Sache im Desaster endet. Denn die Zeit, die man bis jetzt verschwendet hat, könnte am Ende fehlen.
Wenn der Brexit, der für alle schmerzhaft genug wird, halbwegs ordentlich vollzogen werden soll, müssen die Scheidungspapiere binnen Jahresfrist fertig sein. Nur dann können Rat, EU-Parlament und britisches Unterhaus sie rechtzeitig prüfen und bis zum Stichtag - Ende März 2019 - darüber abstimmen.
Britische Regierung versucht zu taktieren
Schuld an dem ermüdenden Schauspiel sind Sturheit und Selbstüberschätzung der Beteiligten. Und beides ist im Kabinett May besonders ausgeprägt. Anstatt endlich ernsthaft zu verhandeln, wie sie vorgibt, versucht die britische Regierung zu taktieren und auf Zeit zu spielen. Erst legte sie sich monatelang nicht auf eine Strategie fest, nun überschüttet sie die Gegenseite mit ellenlangen, größtenteils unrealistischen Positionspapieren; noch dazu zu Themen, die momentan gar nicht zur Debatte stehen.
Das einzig Erfreuliche ist, dass mittlerweile auch die Hardliner in der Downing Street einzusehen scheinen, in welch schwierige Lage sie ihr Land mit dem Austrittsvotum gebracht haben, und dass ein "harter" Brexit ohne langjährige und großzügige Übergangsphase keine Option sein kann. Beobachter halten sogar ein zweites Referendum für möglich.
Brüssel mahnt zur Eile
Im Moment freilich herrscht Stillstand. Und es sieht nicht so aus, als würden der Brexit-Minister der Regierung May und der EU-Diplomat aus Frankreich ihr selbst gesetztes Etappenziel erreichen. Bis Mitte Oktober wollte man eigentlich das Kapitel Austrittskonditionen weitgehend abschließen und Abschnitt zwei der Verhandlungen über die künftigen Handelsbeziehungen eröffnen. Das ist ein Feld, das kompliziert genug ist.
Schaffen die Unterhändler in der nächsten oder spätestens übernächsten Runde nicht den Durchbruch, droht ein turbulenter Showdown beim Herbstgipfel der Staats- und Regierungschefs. Es ist kein Wunder, dass man in Brüssel allmählich die Geduld verliert und zur Eile mahnt. Und es ist höchste Zeit, dass der Bann der "Murmeltierwoche" gebrochen wird.
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