Sondertreffen der EU-Außenminister Rätselraten über die "Black Box" Trump
Welchen außenpolitischen Kurs verfolgt Trump? Im Wahlkampf verunsicherte er mit verschiedenen Aussagen - Stichwort NATO-Beistandsgarantie oder Sympathien für Putin. Heute beraten die EU-Außenminister über den Neuen im Weißen Haus.
"America First - Amerika zuerst!" Mit diesem Slogan eroberte Donald Trump das Weiße Haus und machte die europäischen Verbündeten einigermaßen ratlos. Seit Mittwochfrüh wird in Brüssel, Berlin oder Riga gerätselt, was der Wahlsieg des Republikaners für Europa und die Zukunft der transatlantischen Beziehungen bedeutet.
Das Problem: Für alle Beteiligten ist der Quereinsteiger Trump eine Art "Black Box". Selbst erfahrene Amtsträger wie EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker kennen ihn bis jetzt nur aus dem Fernsehen und wissen so gut wie nichts über sein politisches Programm oder sein künftiges Regierungsteam: "Ich habe mit François Hollande, Angela Merkel, Martin Schulz, Donald Tusk und Matteo Renzi geredet - niemand kennt ihn. Aber ich habe den Eindruck: Wir werden ihn kennenlernen. Er uns aber auch."
Bundesaußenminister Steinmeier hatte das heutige Treffen angeregt, um im Kreise der europäischen Kollegen über Trump zu beraten.
Meinungsaustausch beim Abendessen
Was will der künftige US-Präsident und wie sollte sich die EU dazu verhalten? Solche Fragen stellen sich auch die Außenminister der Union, die sich für heute Abend kurzfristig zu einem Sondertreffen in Brüssel verabredet haben. Die Idee zu einem ersten Meinungsaustausch beim Abendessen, einen Tag vor dem regulären Ministerrat, kam vom deutschen Ressortchef, Frank-Walter Steinmeier, der damit bei der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini auf offene Ohren stieß.
Steinmeier gehört zu jenen, die nach Trumps überraschendem Triumph über die Demokratin Hillary Clinton regelrecht geschockt wirkten. Nicht einmal die obligatorischen Glückwünsche kamen dem Chefdiplomaten über die Lippen, der Trump kurz zuvor noch einen "Hassprediger" genannt hatte.
Mit einem solchen Mann im Oval Office sieht der Minister schwierige Zeiten heraufziehen: "Wir müssen uns darauf einstellen, dass amerikanische Außenpolitik für uns in der nächsten Zeit weniger vorhersehbar wird."
Die Mehrzahl der EU-Kollegen dürfte diese Sorge teilen. Mit Ausnahme vielleicht des ungarischen Außenministers, dessen Regierungschef Viktor Orban den Wahlsieg des Populisten als "Rückkehr zur wahren Demokratie" bejubelt hatte, sehen die meisten eine Phase der Ungewissheit und Unberechenbarkeit voraus.
Viel Porzellan zerschlagen
Gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik hatte Trump im Wahlkampf besonders viel Porzellan zerschlagen und die Partner jenseits des Atlantiks mit teils widersprüchlichen, teils provokanten Aussagen vor den Kopf gestoßen.
So blieb seine Haltung zum Syrienkrieg, zum Ukrainekonflikt oder zum Atomvertrag mit dem Iran nebulös. Dafür zeigte er ungewöhnliche Sympathien für Russlands Machthaber Wladimir Putin und stellte indirekt sogar die Beistandsgarantie aus Artikel 5 des NATO-Vertrags zur Disposition. Trumps Drohung: die USA würden sich den kostspieligen Schutz der Verbündeten künftig bezahlen lassen. Ärmere Länder, wie die baltischen Republiken, müssten sich notfalls selbst verteidigen.
"Nicht wie das Kaninchen vor der Schlange"
Äußerungen wie diese verlangten dringend nach einer Klarstellung, heißt es in Brüssel: "Wir sollten als Deutsche und als Europäer jetzt nicht wie das Kaninchen auf die Schlange - sprich auf diesen Wahlausgang - schauen, sondern wir sollten uns auch selbst vergewissern, wo wir stehen", sagte Steinmeier.
Trotz des allgemeinen Unbehagens glaubt auch der Bundesaußenminister nicht, dass sämtliche Ankündigungen Trumps im Wahlkampf Realität werden. Ein Weckruf ist sein Wahlsieg für die Europäer aber allemal. Nach Flüchtlingskrise und Brexit-Schock ist der Druck noch einmal gewachsen, für die drängendsten Probleme endlich Lösungen zu finden und auf zentralen Politikfeldern enger zusammenzuarbeiten.
Eines davon ist die geplante europäische Verteidigungsunion, die beim morgigen Ministerrat ohnehin auf der Agenda steht und deren Verwirklichung nun zusätzlich an Brisanz gewonnen hat.
Sollte sich der Weltpolizist USA unter Trump tatsächlich noch mehr aus Europa zurückziehen als unter seinem Vorgänger Barack Obama, müssten die EU-Staaten auch militärisch mehr Verantwortung übernehmen, mahnt Kommissionschef Juncker: "Diese Vorstellung, als ob die Amerikaner bis ans Ende der Tage für die Sicherheit der Europäer sorgen - die sollte man schnellstens vergessen."