EU-Gipfel Neue Harmonie - alte Konflikte
Die Europäische Union ist nicht das Problem, sondern die Lösung. Diese Botschaft wollte EU-Ratspräsident Donald Tusk beim Sommergipfel in Brüssel vermitteln. Und im Prinzip ist ihm das auch gelungen.
Nach den vielen, teilweise turbulenten Krisentreffen, die EU-Ratspräsident Donald Tusk in letzter Zeit leiten musste, und nach Rückschlägen, wie dem Brexit-Referendum oder der Wahl von US-Präsident Donald Trump, waren er und die meisten Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen auffällig um Harmonie und gute Laune bemüht. Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel amüsierte sich sogar über die ungläubigen Journalisten, die dem Frieden nicht so recht trauen wollten.
"Wir werden mit einer Stimme sprechen"
Die beinahe euphorische Stimmung und der demonstrative Zusammenhalt wurden vor allem von einem Gast verkörpert: Emmanuel Macron. Für den französischen Präsidenten und Europas neuen Hoffnungsträger war es der erste EU-Gipfel. Macron zeigte sich gut vorbereitet und verbreitete seinerseits viel Optimismus. Vor allem, indem er eifrig die Wiedergeburt des deutsch-französischen Tandems propagierte: "Wir arbeiten Hand in Hand mit Deutschland. Wir haben viele Punkte der Schlusserklärung dieses Gipfels gemeinsam angestoßen", sagte Macron und fügte hinzu: "Im Rat werden wir mit einer Stimme sprechen."
Für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron war es der erste EU-Gipfel.
Macrons Versprechen, die Dinge in Europa mit konkreten Projekten voranzubringen und die Bürger so vom Mehrwert der EU zu überzeugen, wurde auch schon teilweise eingelöst: In Brüssel beschlossen die Mitgliedsstaaten, militärisch künftig enger zu kooperieren. Bei Auslandseinsätzen und im Bereich Krisenreaktion will man von den USA unabhängiger werden, ohne der NATO Konkurrenz zu machen. Grundlage ist die sogenannte PESCO, die "permanente strukturierte Zusammenarbeit" - ein Instrument im EU-Vertrag, das bisher nie aktiviert wurde, unter anderem weil die Briten bremsten.
"Jetzt wacht die Prinzessin auf"
EU-Kommissionschef Juncker bemühte einen poetischen Vergleich: "Jetzt wacht die Prinzessin auf, die solange geschlafen hat. Denn wir haben in den vergangenen Monaten diverse Vorschläge für eine europäische Verteidigungsunion präsentiert."
"Jetzt wacht die Prinzessin auf, die solange geschlafen hat", so Jean-Claude Juncker.
Innerhalb der nächsten drei Monate sollen die Ziele dieser Verteidigungsunion verbindlich festgelegt werden. Ganz oben auf der Liste: ein fliegendes Krankenhaus, eine Spezialtruppe für Transport und Logistik und ein europäischer Offizierslehrgang. All das soll Geld sparen und die EU militärisch effizienter machen.
Rückgrat zeigte man auch gegenüber Russland und den USA: Die wegen des Ukrainekonflikts 2014 beschlossenen Wirtschaftssanktionen gegen Moskau wurden um ein weiteres halbes Jahr verlängert. Das Pariser Klimaschutzabkommen, das Präsident Trump gekündigt hat, wird in der Gipfelerklärung als wichtiger Grundstein bezeichnet, der nicht verhandelbar sei. In Sachen Freihandel schließlich will man möglichst noch vor dem G20-Gipfel Anfang Juli mit Japan zum Abschluss kommen.
Merkel lobt unkomplizierte Gespräche
Kanzlerin Merkel, die früher als erwartet vor die Presse treten konnte, lobte den unkomplizierten Verlauf des Arbeitstreffens, der nicht zuletzt der guten deutsch-französischen Abstimmung im Vorfeld geschuldet sei. Wie Präsident Macron sprach sie von gemeinsamen kreativen Impulsen, die der EU gut tun würden und davon, dass der Optimismus überwiege.
Alle Zeichen der Einigkeit und des Aufbruchs konnten freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Mitgliedsland die EU demnächst verlassen wird. Ein Jahr nach dem Brexit-Referendum und wenige Tage nach Beginn der offiziellen Verhandlungen hatte die britische Premierministerin Theresa May darum gebeten, auf dem Gipfel kurz zum Stand der Dinge Stellung nehmen zu dürfen. Dabei kündigte sie erstmals an, dass EU-Bürger, die länger als fünf Jahre in Großbritannien leben und arbeiten, nach dem Austritt aus der EU ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten sollten.
"Ein guter Anfang"
Was die Britin ein "sehr faires und ernsthaftes Angebot" nannte, wurde von den 27 übrigen Gipfelteilnehmern kühl zur Kenntnis genommen. Vielleicht, weil es sich bei näherem Hinsehen als kein allzu großes Zugeständnis entpuppt, wie Luxemburgs Außenminister Asselborn feststellte. Kanzlerin Merkel sprach diplomatisch von einem "guten Anfang". Es blieben aber noch viele offene Fragen.