Nach der Europawahl Personalpoker in Brüssel
Zwei Tage nach der Europawahl hat in Brüssel der Personalpoker um die EU-Spitzenpositionen begonnen. Während die Kanzlerin auf eine schnelle Einigung drängt, rechnen Beobachter mit zähen Verhandlungen.
Zwei Tage nach der Europawahl haben Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und ihre 26 EU-Kollegen bei einem informellen Arbeitsessen in Brüssel mit ihren Beratungen über das künftige Führungspersonal begonnen. Es geht dabei zu allererst um das Amt des EU-Kommissionspräsidenten, also um die Nachfolge des Luxemburgers Jean-Claude Juncker. Aber auch die Spitze des Rates, des EU-Parlaments und des diplomatischen Dienstes müssen neu besetzt werden. Und schließlich wird auch ein neuer Chef für die Europäische Zentralbank gesucht.
Schwierige Entscheidungen, bei denen jedes Mitgliedsland mitreden möchte und eigene Interessen verfolgt. Das macht eine Lösung nicht gerade einfach. Zusätzlich erschwert wird eine rasche Einigung durch den Machtkampf der Institutionen: Gemäß EU-Vertrag dürfen die Regierungschefs zwar ihren Lieblingskandidaten für das Amt des Kommissionschefs vorschlagen - wählen muss ihn danach aber das Parlament.
Einigung erst im Herbst?
Dass das Tauziehen um die Topjobs schnell über die Bühne geht, ist nach Lage der Dinge wenig wahrscheinlich. Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger, der schon mehrere solcher Personalpoker aus nächster Nähe verfolgt hat, hält es durchaus für möglich, dass die neue EU-Kommission ihre Arbeit erst nach dem regulären Termin, dem 1. November, aufnehmen kann.
"Es muss die Kunst gelingen, eine Mannschaft zu finden, in der sich West-, Ost-, Süd- und Nordeuropa - mit Kulturen, die nicht immer ganz gleich sind - wiederfinden", erklärt Oettinger. Und auch das Thema Geschlechterparität spielt laut dem deutschen EU-Kommissar eine wichtige Rolle.
CDU/CSU haben es eilig
Aufs Tempo drückt dagegen die Bundesregierung. Im Anschluss an ein Vorbereitungstreffen der Koalitionsspitzen in Berlin mahnte Kanzlerin Merkel alle Beteiligten zur Eile: Es wäre wünschenswert, wenn der Europäische Rat sein Personalpaket noch vor der konstituierenden Sitzung des EU-Parlaments Anfang Juli präsentieren könnte. Zu einem solchen Paket würden auch Vorschläge für die neue Außenbeauftragte der Union oder den nächsten EU-Ratspräsidenten gehören.
Beim informellen Dinner der Chefs wollte sich Merkel dafür einsetzen, wie sie bei ihrer Ankunft in Brüssel bekräftigte: "Ich werde heute Abend appellieren, dass wir Handlungsfähigkeit beweisen müssen." Möglichst bis zum Zusammentritt des Parlaments sollte ein Vorschlag unterbreitet werden.
Ein großes Interesse daran, dass die Dinge speziell in Sachen Juncker-Nachfolge zügig vorankommen, hat nicht zuletzt Merkels Unionskollege Manfred Weber. Der CSU-Vize aus Niederbayern ist Frontmann der europäischen Konservativen und damit Chef der nach wie vor stärksten Fraktion.
Als solcher hat er nicht nur den Rückhalt der Kanzlerin, er pocht auch darauf, bei der Nominierung für das Präsidentenamt der natürliche Kandidat zu sein: "Im Europäischen Parlament wird es definitiv keine Mehrheit geben für irgendeinen Kandidaten, der nicht vorher Spitzenkandidat war, der nicht vorher Gesicht gezeigt und sich den Menschen vorgestellt hat."
Der Haken dabei: Webers Parteienfamilie, die EVP, hat, genau wie die seines sozialdemokratischen Mitbewerbers Timmermans bei den Europawahlen zu viele Sitze eingebüßt. Zusammen hat Schwarz-Rot keine absolute Mehrheit mehr, was Webers Chancen auf das Spitzenamt schmälert.
Bei der Frage des EU-Kommissionspräsidenten uneins: Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron.
Widerstand der Liberalen
Hinzu kommt, dass es auch im Rat der Staats- und Regierungschefs einflussreiche Gegner der Personalie Weber gibt - allen voran Frankreichs Präsident Macron: "Wir brauchen Frauen und Männer, die Erneuerung verkörpern", betont er. Menschen, die die Erfahrung und Glaubwürdigkeit besäßen, diese Mission umzusetzen, und die den nötigen Ehrgeiz mitbrächten. "Darum muss es bei unserer Diskussion heute gehen", fordert Macron.
Dass Weber, der bis jetzt nie ein Regierungsamt inne hatte und viele Reformpläne des Franzosen kritisch sieht, diesem anspruchsvollen Jobprofil entspricht, darf bezweifelt werden. Ohnehin ist es ein offenes Geheimnis, das Macron die derzeitige Wettbewerbskommissarin Margrete Vestager aus Dänemark für die bessere Besetzung hält. Überdies macht er keinen Hehl daraus, dass er das vor fünf Jahren erstmals angewandte Verfahren der Spitzenkandidaten aus Prinzip ablehnt, weil es den politischen Spielraum der Mitgliedsstaaten einschränkt.
Befreundete Regierungschefs aus dem liberalen Lager, wie die Ministerpräsidenten der drei Benelux-Staaten und Griechenlands, hat Macron bereits überzeugt. Weitere Länder auf seine Seite zu ziehen, um eine Art Sperrminorität zu organisieren, dürfte jedoch schwierig werden. Merkel, Macron und Co. haben dem scheidenden Ratspräsidenten Donald Tusk fürs Erste den Auftrag erteilt, bis zum nächsten offiziellen EU-Gipfel am 21. Juni einen Vorschlag vorzulegen.
Erster Teilerfolg für Weber
Im heraufziehenden Machtkampf zwischen Rat und Parlament kann CSU-Mann Weber derweil wenigstens einen Etappensieg vermelden: So stellten die Fraktionsführer von EVP, Sozialdemokraten und Grünen am Mittag klar, dass sie nur einen der Spitzenkandidaten zum Nachfolger von Kommissionschef Juncker wählen werden - ganz gleich, wen die Regierungschefs am Ende nominieren. "Wir als EVP sind darüber sehr froh", bestätigte Weber.
Auf einen Namen festlegen wollten sich die Fraktionen - anders als Merkel - freilich noch nicht. "Insofern wird das heute ein erster Austausch sein, bei dem ich als Mitglied der EVP-Familie mich natürlich für Manfred Weber einsetzen werde", versprach die Kanzlerin.
Webers Bemühungen, im Parlament die Basis für ein breiteres Bündnis mit Sozialdemokraten, Grünen und/oder Liberalen zu legen, um seine Position zu festigen, werden wohl noch etwas Zeit in Anspruch nehmen.