Brexit-Debatte im EU-Parlament Neue Gegner, alte Gräben
Einerseits waren sich die meisten EU-Parlamentarier in einem einig: Sie halten nichts von den Brexit-Protagonisten. Andererseits: In allen Fragen wurden heute in Straßburg die altbekannten Meinungsunterschiede deutlich.
Alte Konflikte erstrahlen in neuem Glanz: Angesichts des Brexit-Votums stoßen die unterschiedlichen Überzeugungen frontal aufeinander, was die Europäische Union ausmacht und was sie in Zukunft sein soll.
Nur ein Gedanke schien heute fast allen im EU-Parlament gemein zu sein: Diejenigen, die das Ergebnis in Großbritannien "herbeigeführt" hätten, träten einer nach dem anderen ab - Johnson, Farage und andere, kritisierte Kommissionschef Jean-Claude Juncker zu Beginn der Debatte. "Das sind Retronationalisten und keine Patrioten. Patrioten gehen nicht von Bord - wenn die Lage schwierig wird, dann bleiben sie", sagte er.
"Europa kann liefern, wenn der Wille da ist"
Doch dann wurde gestritten - und zwar ordentlich: Mal wurden Vorwürfe bestritten. Der Vorsitzende der konservativen Fraktion, Manfred Weber kritisierte beispielsweise: Es werde behauptet, Europa handele nicht - "Ja, manchmal bedarf es Zeit, manchmal kostet es Zeit, bis wir uns zusammenraufen." Aber diese Woche werde man über den europäischen Küstenschutz abstimmen, den man innerhalb von fünf Monaten auf den Weg gebracht und legislativ umgesetzt habe. "Europa kann liefern, wenn der Wille da ist", meinte Weber. Das habe man auch schon bei der Bankenunion bewiesen.
Häufiger als solche Loblieder wurden aber vor allen Dingen Vorwürfe geäußert. So zeigte sich die die Linksfraktionschefin Gabi Zimmer tief enttäuscht über die bisherige Reaktion auf das Brexit-Votum. "Das sind keine Botschaften in Richtung Veränderung, das sind Botschaften in Richtung Austeritätspolitik, Politik der rigiden Kürzungen der öffentlichen Haushalte", kritisierte sie.
Das Brexit-Votum führte im EU-Parlament zu einer heftigen Debatte.
Nach Griechenland würden jetzt Spanien und Portugal "in die Mangel genommen", meinte Zimmer. Die EU werde weiter hierarchisiert, "offene Drohungen" wie die von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stünden im Raum: "Wer nicht mitzieht, bleibt außen vor."
"Die Bürger sind gegen diese EU"
Keine humanitären Sofortprogramme wie die Linken aber dennoch grundlegende Veränderungen wünschen sich die Liberalen im EU-Parlament. Für sie sprach der Belgier Guy Verhofstadt. "Wann werden Sie begreifen, wann wird der Rat begreifen, dass diese Form der Europäischer Union von heute nicht mehr zu rechtfertigen ist? Dass Europa reformiert werden muss?", fragte er.
Es müsse dringend eine neue Vision Europas geben. Denn in Wahrheit seien die Bürger nicht gegen Europa - sie seien "gegen diese Europäische Union". Verhofstadt plädierte für ein weiteres Zusammenrücken Europas und damit zwangsläufig auch für mehr Kompetenzen der EU.
Der liberale belgische Ex-Premier Guy Verhofstadt leidet unter der Visionslosigkeit der EU.
Das allerdings stößt nicht nur bei eingefleischten Europakritikern auf wenig Gegenliebe. Eine solche Reaktion käme einer Verleumdung der Gefühle vieler Europäer gleich, erklärte beispielsweise der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. Und auch andere EU-Länder sehen die angemessene Reaktion in deutlich weniger statt in mehr Europa. Dazu gehört auch Ungarn, von wo noch während der Brexit-Debatte die Nachricht vom Datum für das Referendum über Europas gemeinsame Flüchtlingspolitik kam.