EU-Gipfel nach der Wahl Entzweit Weber Macron und Merkel?
Auf einem EU-Gipfel sollen Mehrheiten für einen neuen Kommissionschef gefunden werden. Während Kanzlerin Merkel an ihr Bekenntnis zu EVP-Parteifreund Weber gebunden ist, verfolgt Präsident Macron ganz andere Pläne. Von Ralph Sina.
Auf einem EU-Gipfel sollen Mehrheiten für einen neuen Kommissionschef gefunden werden. Während Kanzlerin Merkel an ihr Bekenntnis zu EVP-Parteifreund Weber gebunden ist, verfolgt Präsident Macron ganz andere Pläne.
Das wird beim EU-Sondergipfel heute Abend eine wichtige Rolle spielen: Sozialdemokraten und Konservative sind die Verlierer der Europawahl, auch wenn die konservative EVP mit ihrem Spitzenkandidaten Manfred Weber die stärkste Kraft im EU-Parlament bleibt. Die Sozialisten stellen mit ihrem niederländischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans als Bewerber um die Nachfolge von Jean-Claude Juncker weiterhin die zweitgrößte Fraktion.
Gewinner dieser Europawahl sind die Liberalen und die Grünen. Da die Liberalen nach deutlichen Zugewinnen die drittgrößte Fraktion im EU-Parlament stellen, erhebt die liberale Dänin Margrete Vestager Anspruch als Nachfolgerin auf das Amt von Juncker. "Das fällt einem nicht in den Schoß. Wenn du etwas willst, muss du schon danach fragen. Und schlimmstenfalls kassierst du ein Nein", lautet das selbstbewusst-gelassene Motto Vestagers. Sie gehört als EU-Wettbewerbskommissarin zu den profiliertesten Gesichtern des Juncker-Teams.
Frauen in Juncker-Kommission unterrepräsentiert
Bereits durch die Teilnahme an einer TV-Diskussionsrunde mit den Spitzenkandidaten in Brüssel signalisierte Vestager, dass sie sich um das Amt der EU-Kommissionschefin bewirbt. Kurz vor der Europawahl twitterte die Liberale, wenn es um das zukünftige Führungspersonal der EU gehe, sollten Frauen und Männer gleichermaßen repräsentiert sein. Da Frauen in der Juncker-Kommission deutlich unterrepräsentiert sind - nur acht von 28 Kommissaren sind weiblich - hält Vestager eine Frau an der Spitze für überfällig und für das richtige Signal. "Möglich, dass es so kommt", betonte Vestager bereits vor der Europawahl.
Auch Kanzlerin Angela Merkel hält im Prinzip eine Frau an der Spitze der EU-Kommission für überfällig und Vestager für eine kluge und kompetente Kandidatin. Auch wenn Merkel von dem Anti-Fusions-Kurs der Wettbewerbskommissarin im Fall von Siemens-Alstom, Thyssen-Krupp und Tata Steal nicht überzeugt ist.
Offizielles politisches Treuebekenntnis Merkels
Vor allem aber ist Merkel zurzeit noch an ihr offizielles politisches Treuebekenntnis zu ihrem EVP-Parteifreund Manfred Weber von der CSU gebunden. Die Kanzlerin könnte angesichts ihrer immer noch beachtlichen Machtfülle auf der Brüsseler Bühne nur schwer erklären, warum sie sich gegen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron durchsetzen kann, wenn es beim Brexit um mehr Bedenkzeit für die Briten geht - sich aber fügt, wenn Macron "Nein" zu Weber sagt.
Frankreichs Präsident will heute Abend in Brüssel darauf beharren, dass laut Europäischem Recht die Staats- und Regierungschefs das Vorschlagsrecht für den Posten des Kommissionspräsidenten haben. Ein weiterer Punkt Macrons: Von einem Spitzenkandidaten in den EU-Verträgen ist nirgends die Rede. Bereits gestern telefonierte er mit den Regierungschefs in Spanien und Portugal, um eine Allianz gegen Weber zu schmieden. Zu diesem Zusammenschluss gehören auch die Premiers der Benelux-Staaten und Griechenlands Regierungschef.
Offenes Rennen um Nachfolge nach Wahlergebnis
Was der französische Präsident über den nicht französisch sprechenden Weber denkt, sprach Macrons Vertrauter Pascal Canfin aus. Er ist die Nummer zwei auf der En-Marche-Parteiliste. Der Kandidat der Konservativen, Weber, sei durch das schlechte Abschneiden der EVP total disqualifiziert, betonte der Macron-Vertraute im Interview mit dem TV-Sender France Inter. Das Rennen um die Juncker-Nachfolge sei jetzt wieder völlig offen. Nur einer spiele ab sofort keine Rolle mehr: der Kandidat Merkels.
Merkel und Macron wollen sich in Brüssel zu einem Vorgespräch treffen. Damit es nicht zu einer Konfrontation beim Abendessen kommt, soll Ratspräsident Donald Tusk damit beauftragt werden, das gesamte Personaltableau zu sondieren. Nach Rücksprache mit dem EU-Parlament und den Staats-und Regierungschefs soll eine Favoritenliste für die EU-Spitzenämter erstellt werden.
Den Präsidenten der Europäischen Kommission wählt das Europäische Parlament. Die Abgeordneten können aber nur über Kandidaten abstimmen, die ihnen vom Europäischen Rat vorgeschlagen werden. Wer eine Chance haben will, braucht daher zunächst das Vertrauen der Staats- und Regierungschefs. Die müssen bei ihrer Kandidatensuche gemäß den europäischen Verträgen das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen. Das kann aber vieles heißen. Das Parlament hat angekündigt, nur jemanden zu wählen, der oder die bei der Europawahl auch als Spitzenkandidat angetreten ist. Einige Regierungen der EU-Staaten wollen sich ihr Vorschlagsrecht aber nicht durch einen solchen Automatismus aushöhlen lassen.
Besetzung weiterer Posten
Geklärt werden muss auch der Kreis der Favoriten für die Nachfolge Tusks, Antonio Tajanis und Mario Draghis - also die zukünftigen Präsidenten oder Präsidentinnen von Europäischem Rat, Europäischem Parlament und Europäischer Zentralbank. EU-Kommissionspräsident Juncker hat sich darauf eingestellt, dass das Tauziehen noch lange dauert und er den Dauermietvertag mit seinem Brüsseler Hotel verlängert, weil er auch noch Anfang 2020 EU-Kommissionspräsident sein könnte.