Russisches Gericht Beschlagnahmung von Memorial-Büros angeordnet
Wenige Stunden nach Bekanntgabe des Friedensnobelpreises für Memorial hat ein russisches Gericht verfügt, dass die Moskauer Büros der Organisation beschlagnahmt werden. Die Menschenrechtler wollen trotzdem weiterarbeiten.
Die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete russische Menschenrechtsorganisation Memorial verliert nach ihrer Auflösung nun auch ihren Stammsitz in Moskau. Ein Gericht in der russischen Hauptstadt schlug das Gebäude in einem als politisch motiviert kritisierten Verfahren dem russischen Staat zu.
Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft warf Memorial vor Gericht vor, "Nazi-Verbrecher rehabilitiert, Behörden diskreditiert und ein falsches Bild der Sowjetunion geschaffen" zu haben.
Die Büros bilden die Zentrale der Menschenrechtsorganisation, in der sie regelmäßig Ausstellungen veranstaltet hatte. Memorial ist bereits seit Ende 2021 in Russland verboten. Die Organisation wurde 1989 gegründet und ist die älteste und wichtigste Menschenrechtsorganisation in Russland. Ende 2021 verfügte zunächst das Oberste Gericht Russlands ein Verbot von Memorial, später ordnete ein Moskauer Gericht die Auflösung der Organisation an.
Menschenrechtler geben nicht auf
"Wir sind dem Nobelkomitee dankbar für diese ehrenvolle Auszeichnung", teilten Memorial-Mitglieder am Abend nach stundenlangem Ringen mit der russischen Justiz mit. Neben der Organisation hatte das Nobelkomitee auch dem belarussischen Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki und dem ukrainischen Center for Civil Liberties die Auszeichnung zugesprochen.
Trotz der jüngsten Entscheidung solle die Arbeit "unter allen Umständen" nach dem Vorbild von Gründungsvater Andrej Sacharow weitergehen, teilte Memorial weiter mit. Der Physiker Sacharow, auch bekannt als Erfinder der sowjetischen Wasserstoffbombe, hatte 1975 den Friedensnobelpreis erhalten.
"Idee und Mission von Memorial sind Menschen, Geschichte, Hilfe für die Opfer von Repressionen, der Kampf gegen staatliche Gewalt", hieß es weiter in der Stellungnahme. "Memorial - das ist ein Netz, das sind Menschen, das ist eine Bewegung." Die Arbeit laufe in Russland und in der Ukraine sowie in anderen Ländern.
Memorial erfahre aktuell wie andere russische Bürgerrechtsorganisationen auch "starken Druck". "Aber es ist nicht möglich, Erinnerung und Freiheit zu verbieten."
Dabei denke Memorial an den in Belarus inhaftierten Bjaljazki sowie andere politische Gefangene in dem Land und an die in der Ukraine unter Bedingungen des russischen Angriffskrieges arbeitenden Kollegen. Der Friedensnobelpreis komme in einer Zeit, in der Russland einen Eroberungskrieg in der Ukraine führe und im eigenen Land Rechte und Freiheiten zerstöre. Das sei eine Gefahr für die Welt.
Mitbegründerin begrüßt Auszeichnung
Die Memorial-Mitgründerin Irina Scherbakowa sieht in der Auszeichnung ein wichtiges Signal für die Menschen in Russland, die dem Putin-Regime und dem Ukraine-Krieg kritisch gegenüberstehen. Die Entscheidung des Nobelkomitees sei für viele von ihnen ein freudiges Ereignis, sagte sie in Jena. Denn viele Menschen in Russland seien verängstigt wegen massiver Repressionen und der Polizeigewalt.
Aber es werde eine Zeit nach Präsident Putin geben, betonte Scherbakowa. "Ich hoffe sehr, dass Russland irgendwann aus dieser moralischen, politischen Katastrophe einen Weg findet in die Demokratie und Freiheit."
Die Memorial-Mitgründerin Irina Scherbakowa lebt zurzeit in Deutschland.
Die studierte Historikerin und Germanistin Scherbakowa hat eine Gastprofessur an der Universität Jena inne und wohnt in Weimar.