Gipfel in Vilnius Die wichtigsten Baustellen der NATO
Eine Perspektive für die Ukraine und Schweden, höhere Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten und Pipelineschutz - auf der Tagesordnung des NATO-Gipfels in Vilnius stehen weitreichende und heikle Themen. Ein Überblick.
Die Ukraine-Hilfe
Natürlich soll auch von diesem Gipfel wieder ein Signal der Solidarität ausgehen. Den Abwehrkampf der ukrainischen Armee werden die NATO-Staaten weiter mit modernen Waffensystemen, Ausrüstung und Munition unterstützen. Mehr als ein auf Jahre angelegtes Hilfsprogramm kann Präsident Wolodymyr Selenskyj, der in Vilnius aller Voraussicht nach dabei sein wird, vermutlich aber nicht erwarten. Die angestrebte offizielle Einladung an die Ukraine, dem Bündnis beizutreten, wird es auf absehbare Zeit nicht geben, genauso wenig wie einen konkreten Fahrplan für die Aufnahme, den sich vor allem die baltischen Staaten wünschen.
Stattdessen will die NATO die Bündnisperspektive der Ukraine bekräftigen und der Regierung in Kiew mehr Mitsprache auf Augenhöhe ermöglichen. Dafür wird ein NATO-Ukraine-Rat gegründet, der sich in Vilnius zum ersten Mal trifft. Außerdem ist im Gespräch, auf das sonst übliche Heranführungsprogramm zu verzichten. Aussichten auf die zugesagte NATO-Mitgliedschaft hat die Ukraine aber erst dann, wenn der Krieg zu Ende ist.
Das Geld
Wie viel wollen und sollen die NATO-Länder in Zukunft für die Verteidigung ausgeben? 2014 hatten die Bündnispartner vereinbart, spätestens kommendes Jahr zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die Rüstung zu stecken. Bisher haben elf von 31 Alliierten dieses Ziel erreicht. Die meisten, darunter auch Deutschland, sind noch ein ganzes Stück davon entfernt. In Vilnius will Generalsekretär Jens Stoltenberg die Bündnispartner dazu verpflichten, angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine deutlich mehr als bisher in ihr Militär zu investieren und damit die Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeiten der Allianz zu stärken.
Zwei Prozent sollen künftig die Untergrenze sein. Darauf haben sich die NATO-Staaten schon im Vorfeld des Treffens verständigt. Deutschland will die Bündnisvorgaben im nächsten Jahr erfüllen. Wenn das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Bundeswehr aufgebraucht ist, also vermutlich ab 2027, muss dafür allerdings der Verteidigungshaushalt kräftig erhöht werden.
Die Nord-Erweiterung
Eigentlich sollten in Vilnius zum ersten Mal 32 Bündnispartner am Tisch sitzen. Aber anders als für Finnland, das im April vollwertiges NATO-Mitglied wurde, gab es für das benachbarte Schweden bis kurz vor dem Gipfel kein grünes Licht. Die Türkei verweigerte bis zum letzten Moment ihre Zustimmung zu einem Beitritt. Am Vorabend des Gipfels die Überraschung: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gab seine Blockade auf, wie Stoltenberg mitteilte. Erdogan habe eingewilligt, das Beitrittsprotokoll so rasch wie möglich dem türkischen Parlament vorzulegen, sagte der NATO-Generalsekretär nach einem Gespräch mit dem türkischen Staatschef und dem schwedischen Ministerpräsident Ulf Kristersson.
Kurz vor seiner Abreise hatte Erdogan noch die Wiederaufnahme von Beitrittsgesprächen der Türkei zur EU als Gegenleistung gefordert. Wenn der Weg der Türkei in die EU geebnet sei, werde auch der Weg Schwedens in die NATO geebnet werden, sagte er.
Auch Ungarn stand bisher noch auf der Bremse. Warum, war unklar. Das Land hatte allerdings auch beteuert, sich der Aufnahme Schwedens nicht in den Weg stellen zu wollen, sollte die Türkei grünes Licht geben. Stoltenberg sagte am Abend, Ungarn hätte klar gemacht, dass das Land nicht das letzte sein wolle, dass dem schwedischen Beitrittsgesuch zustimme.
Die Streitkräftestruktur
Beim Gipfel in Madrid vor einem Jahr hatte die NATO als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg die Verstärkung ihrer Kampfverbände in den östlichen Mitgliedstaaten beschlossen und den Aufbau einer 300.000 Mann starken Bereitschaftstruppe auf den Weg gebracht. In Vilnius entscheidet das Bündnis über eine neue Struktur für die Streitkräfte.
Drei regionale Pläne sollen dafür sorgen, dass dauerhaft genug Soldaten, Waffen und Ausrüstung bereitstehen, um bestimmte Gebiete gegen mögliche Angriffe verteidigen zu können - im hohen Norden, vom Baltikum bis zu den Alpen und vom Mittelmeer bis zur Schwarzmeerküste. Die angekündigte Stationierung einer rund 5000 Mann starken Bundeswehrbrigade in Litauen wird dabei berücksichtigt. Christopher Cavoli, NATO-Oberbefehlshaber in Europa, kommt es auf größtmögliche Flexibilität an. Das heißt, die Truppen müssen im Notfall schnell verlegt werden können.
Der Schutz von Pipelines
Thema beim NATO-Treffen wird auch die Frage sein, wie die sogenannte kritische Infrastruktur besser geschützt werden kann. Dabei geht es vor allem um Strom und Datenleitungen sowie Öl- und Gaspipelines, die auf dem Meeresgrund liegen und, wie das Beispiel Nord Stream 2 gezeigt hat, mögliche Angriffsziele sind. Die NATO hat schon eine neue Koordinierungsstelle eingerichtet, die den Austausch zwischen der Militärallianz, den nationalen Regierungen und den privatwirtschaftlichen Betreibern der Leitungen verbessern soll. Allerdings verlaufen allein durch die Nordsee Gaspipelines mit einer Gesamtlänge von 9000 Kilometern. Hundertprozentige Sicherheit wird die NATO also nicht gewährleisten können.