Interview im französischen TV Netanyahu rechtfertigt zivile Opfer in Gaza
Die Bilder aus Rafah gehen um die Welt - bei einem Interview im französischen TV hat sich Israels Ministerpräsident Netanyahu nun verteidigt. Vor dem Medienzentrum demonstrierten Tausende gegen die Ausstrahlung.
Was er sonst öfter im US-Fernsehen macht, gab es gestern Abend in einem privaten französischen Nachrichtenkanal: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat ein Interview gegeben. Nach zehn Minuten wechselt er in die Charme-Offensive und sagt auf Französisch: "Unser Sieg ist Euer Sieg. Unser Sieg ist der Sieg Israels gegen den Antisemitismus." Es sei der Sieg der jüdisch-christlichen Zivilisation gegen die Barbarei. "Es ist der Sieg Frankreichs!"
Israel sei ein Bollwerk gegen den Terror, der eigentlich auf den Westen ziele. Ob sie einen Terrorstaat in der Pariser Banlieue wollen, fragt er die Zuschauer des TV-Senders LCI direkt und erinnert sie an den schlimmsten Anschlag auf französischem Boden - an die 130 Toten im Pariser Bataclan.
Netanyahu sieht Schuld für zivile Opfer bei der Hamas
Zudem: Wer auf Israel zeige, der schüre nur den Antisemitismus, sagt Netanyahu. Der Moderator kontert, wer das Geschehen in Gaza kritisch betrachte, sei noch lange kein Antisemit. Was sei mit den zivilen Opfern dort? Netanyahu entgegnet: Man warne vor, die Hamas aber benutze die Bevölkerung als Schutzschild. Die Schuld liege also dort.
Im Übrigen käme auf jeden getöteten Kämpfer, so Netanyahu, leider ein toter Zivilist, aber für einen modernen Stadtkrieg sei das die niedrigste Rate. Als er nach einer internationalen Mission für Gaza gefragt wird, sagt er: Für die Verwaltung gern, militärisch nicht. Frieden? Sei möglich.
Ein Ende des Krieges sei mit der Freilassung der Geiseln möglich
"Das Ende des Kriegs kann sofort erreicht werden, wenn die Hamas die Waffen niederlegt und die Geiseln befreit. Dann können wir das in fünf Minuten beenden. Aber das tun sie nicht", sagt Netanyahu. Durch militärischen Druck hätte Israel die Hälfte der Geiseln befreien können. Das sei nicht einfach gewesen bei den 500 Kilometern Tunnelnetz, das länger sei als das der Pariser Metro.
Die Hamas habe auch 42 Franzosen getötet. Er wolle den Alptraum der Geiseln beenden. Das gehe Hand in Hand mit dem anderen Ziel, die Hamas zu zerstören - die Terroristen, nicht die Bevölkerung. "Wir wollen eine andere Zukunft für Gaza. Von dort darf keine Bedrohung für Israel ausgehen."
Netanyahu wehrt sich gegen Vorwürfe aus Den Haag
Der Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag hat Haftbefehle gegen Netanyahu und seinen Verteidigungsminister, aber auch gegen Hamas-Führer beantragt, die verantwortlich sind für den brutalen Terrorangriff auf Israel im Oktober 2023. Bei Israels militärischer Antwort darauf gebe es Anhaltspunkte für Kriegsverbrechen, heißt es in der Begründung. Beispiel: das Aushungern von Zivilisten.
Im LCI-Interview bezeichnet Netanyahu das als falsch. Man habe vielmehr eine halbe Million Tonnen Lebensmittel und Medikamente geschickt, 3.200 Kalorien für jeden täglich, 1.000 mehr als erforderlich, behauptet er. In Frankreich haben viele Menschen eher Bilder aus Gaza mit abgemagerten Menschen im Kopf, die Stunden für Brot anstehen und bombardiert werden.
Der Strafgerichtshof "verfälsche" Dinge
Den Gerichtshof kritisiert Netanyahu scharf. Es gehe bei all dem nicht um ihn, lenkt er ab, sondern um Israel, um die Demokratie. "Wir als einziger jüdischer Staat haben nach dem Holocaust das Recht, uns zu verteidigen. Dieses Recht bekämpft der Strafgerichtshof, indem er Dinge verfälscht", wirft Netanyahu den Anklägern in Den Haag vor.
Der Gerichtshof setze damit die demokratisch gewählten Vertreter Israels auf eine Stufe mit den Hamas-Chefs. Das sei, als hätte man de Gaulle und Churchill bei den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg genau wie die Kommandeure der Nationalsozialisten behandelt oder später Al-Kaida und den US-Präsidenten gleichgestellt. "Das ist Wahnsinn."
Netanyahu verteidigt jüdische Siedlungen im Westjordanland
Israels Premierminister zieht krude historische Vergleiche und entgegen internationalem Recht sagt er, die jüdischen Siedlungen im Westjordanland seien nicht illegal. Im übrigen würden die Palästinenser Israel nicht anerkennen und das verhindere den Frieden.
Einem friedlichen Palästina reiche er die Hand, aber nicht, wenn in den Schulbüchern zur Vernichtung Israels aufgerufen werde. Ein palästinensischer Staat heute sei für ihn ein Terrorstaat.
Proteste vor dem Medienzentrum gegen die Ausstrahlung
Schon nach Ankündigung des Sendetermins hatten sich in Paris Tausende in Sichtweite des Medienzentrums versammelt. "Israel - Mörder. Macron - Komplize!", riefen sie. Dabei hat Frankreichs Präsident wiederholt deutliche Worte gegenüber Israel gefunden, einen Waffenstillstand gefordert und bestätigt: Die Anerkennung eines Palästinenser-Staates sei für sein Land kein Tabu. Aber nicht mitten in der Emotion.
In Frankreich lebt sowohl die größte jüdische als auch die größte muslimische Gemeinschaft Europas. Hier könnten die Emotionen nach dem Interview Netanyahus hochschlagen. Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin hatte schon vor der Sendung angesichts der globalen Lage verkündet, den Schutz jüdischer Einrichtungen noch einmal zu verstärken.