Umstrittene Regierungsbildung in Polen "Sie versuchen, noch ein paar Tage zu stehlen"
Morawiecki und die PiS verfehlten bei der Parlamentswahl in Polen die nötige Mehrheit - und sollen nun trotzdem die Regierung bilden. Die Opposition ist enttäuscht, rechnet aber weiter mit einem Machtwechsel.
Donald Tusk ist schon bei der Fragerunde angekommen. Eben hat der ehemalige und aller Wahrscheinlichkeit nach zukünftige polnische Ministerpräsident in Wrocław eine Rede gehalten - in dem Wahlkreis, in dem die Menschen Mitte Oktober bis morgens um drei Uhr anstanden, um bei der Parlamentswahl ihre Stimme abzugeben. Ende der Woche werde die Regierung, bestehend aus seiner Bürgerkoalition, dem Wahlbündnis "Der dritte Weg" und der "Neuen Linken", einen Koalitionsvertrag vorlegen - bis ins Detail ausgearbeitet, sagt Tusk.
Da erreicht auch ihn die Nachricht, die schon ein paar Minuten in den sozialen Netzwerken kursiert: Präsident Andrzej Duda werde tatsächlich Mateusz Morawiecki und der PiS-Partei den Auftrag zur Regierungsbildung geben. "Sie versuchen, noch ein paar Tage zu stehlen. Schade. Sogar zwei bis drei Wochen, es wird ein bisschen länger dauern. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht ganz, warum Präsident Duda Herrn Morawiecki, Herrn Kaczyński, die gesamte PiS einer solchen Demütigung aussetzt. Sie hören von mir jetzt und von allen anderen jeden Tag, wie unpatriotisch, unbürgerlich das ist. Denn jeder verlorene Tag ist ein Verlust für unser Vaterland."
Kritiker hatten Hinauszögern befürchtet
Seit Wochen - im Grunde seit die ersten Prognosen am Wahlabend gezeigt haben, dass die PiS zwar erneut stärkste Partei geworden ist, aber rein rechnerisch keine Mehrheit zusammenbekommt - befürchten Kritiker der PiS-Regierung, Duda werde den Regierungswechsel so lange wie möglich hinauszögern. Schon als Termin für die erste Sitzung des neuen Parlaments hatte der Präsident mit dem 13. November fast den letztmöglichen Zeitpunkt gewählt.
Und tatsächlich erklärte Duda in seiner Fernsehansprache am Abend: "Nach bedachter Analyse und Beratung habe ich beschlossen, die Aufgabe der Regierungsbildung Ministerpräsident Mateusz Morawiecki anzuvertrauen.[...] Ich habe mich entschieden, die gute parlamentarische Tradition fortzusetzen, nach der die siegreiche Partei als erste die Möglichkeit erhält, eine Regierung zu bilden."
"Duda spielt mit den Emotionen der Wähler"
Er habe nichts erwartet, könne also auch nicht enttäuscht sein, teilt Szymon Hołownia, der Co-Vorsitzende des "Dritten Weges", nach Dudas Rede mit. Der Warschauer Stadtpräsident Rafał Trzaskowski von der Bürgerkoalition schreibt bei X (ehemals Twitter), Duda verdrehe nicht nur die Realität, er spiele auch mit den Emotionen der Wähler.
Und auch Agnieszka Dziemanowicz-Bąk von der "Neuen Linken" sagt, sie sei nicht überrascht, aber doch enttäuscht, dass der Präsident weiterhin der Präsident der PiS sei und nicht der aller Polen: "Er hat wieder mal gezeigt, dass er einen Parteiausweis der PiS in der Tasche, im Herzen hat. [...] Wir haben bereits acht Jahre überlebt. Dann warten wir eben noch eine Weile. Aber wir sind bereit, eine demokratische Regierung zu bilden, so wie es die Polinnen und Polen entschieden haben."
Nur: Ganz so entspannt, wie sich die vermutlich künftigen Koalitionäre geben, ist die Lage nicht. Die Haushaltsverhandlungen drängen, Polen muss so schnell es geht die gesperrten EU-Gelder freischalten und die PiS nutzt mutmaßlich jeden Tag, um - laut Medienberichten - Gelder beiseite zu schaffen, Akten zu vernichten und ihre Leute in den Gerichten zu installieren. Denn Tusk hat eine juristische Abrechnung angekündigt - wenn er denn irgendwann tatsächlich Regierungschef wird.