Machthaber Kadyrow Herrscher von Putins Gnaden
Tschetscheniens Machthaber Kadyrow präsentiert sich als Anführer eines starken Heeres. Doch wie mächtig ist Kadyrow und wie kampfstark sind seine Truppen?
Es war eine Gelegenheit, die sich Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow nicht entgehen lassen konnte. Er werde seine Truppen an die Front vor die ukrainische Stadt Bachmut schicken, teilte er mit, um die Wagner-Söldner von Jewgeni Prigoschin zu ersetzen.
Prigoschin hatte mit deren Abzug gedroht, weil sie zu wenig Munition erhielten und deshalb ihre Stellungen nicht halten könnten. Das Kalkül ging offenbar auf: Zumindest erklärte Prigoschin, die russische Militärführung komme seiner Forderung nach. Seine Truppe erhalte wieder Munition, wenn auch nicht so viel, wie er gefordert hatte. Den Abzug aus Bachmut sagte er ab.
An der Front unabkömmlich
Kadyrow und Prigoschin konnten sich offenbar gegen das russische Verteidigungsministerium und den Generalstab durchsetzen. Sie hätten gezeigt, dass sie an der Front unabkömmlich sind - so interpretiert es das Expertenteam des Institute for the Study of War in Washington.
Kadyrows Truppen seien in den vergangenen Monaten in mehreren Gebieten in der Ukraine stationiert worden. Deren Abzug und Verlegung nach Bachmut hätte wohl ein Risiko dargestellt, das die Militärführung nicht eingehen wollte. Nun aber mehr Munition für Angriffe dorthin zu liefern, widerspricht dem Ziel, die gesamte Front auf die Verteidigung der eroberten Stellungen gegen die erwartete Frühjahrsoffensive der Ukraine vorzubereiten und im Vorfeld Munition zu sparen.
Gehorsam nur gegenüber Putin
Kadyrow hatte sich direkt an Präsident Wladimir Putin gewandt. In einem Brief vom 6. Mai bat er ihn, Verteidigungsminister Sergej Schoigu und den Chef der Nationalgarde, Viktor Solotow, eine Anweisung zu geben. Sie sollten die Verlegung von Kadyrows Einheiten nach Bachmut genehmigen. Er umging damit die reguläre Befehlskette innerhalb der russischen Sicherheitskräfte.
Gehorsam zeigt Kadyrow nur gegenüber Putin, was ihn seit Jahren zum verhassten und gefürchteten Rivalen der anderen Akteure im russischen Machtapparat macht. Seine Kadyrowtsy genannten Truppen unterstehen formal der Nationalgarde von Solotow.
Am 8. Mai weihte er in Anwesenheit von Vizeverteidigungsminister Timur Iwanow eine Kaserne für sein Regiment "Achmat Nord" ein. Auf dem Appellplatz waren Kadyrow zufolge 3300 Regimentsmitglieder angetreten. In einem Video waren daneben aufgereiht leichte Waffen und gepanzerte Wagen zu sehen. Das Regiment soll sich an "speziellen Militäroperationen" beteiligen, wie es in seinem Telegram-Kanal heißt.
Es soll drei weitere, nach den Himmelsrichtungen und seinem Vater Achmat benannte Regimenter geben. Achmat Kadyrow war am 9. Mai 2004 bei der Parade zum Tag des Sieges vor laufenden Kameras getötet worden.
Abhängig von Moskaus Finanzierung
Zwar waren seine Truppen von Beginn an am Krieg in der Ukraine beteiligt, doch erlitten sie offenbar beim Angriff auf Kiew schwere Verluste. Danach beschrieben Experten die Rolle seiner Kämpfer vor allem als Mittel der Abschreckung, mit dem die Brutalität und massiven Zerstörungen der zwei Tschetschenienkriege in den 1990er-Jahren heraufbeschworen werden sollen. Er verfüge bei weitem nicht über so viele Männer wie Prigoschin und könne es sich nicht leisten, sie an der Front zu verheizen.
So martialisch Kadyrow auftritt, gern auch in Lederstiefeln und Kleidungsstücken in Camouflage-Farben von Luxusmarken wie Louis Vuitton, so sehr muss er darum bemüht sein, seine Macht zu zementieren.
Der Haushalt Tschetscheniens wurde in den vergangenen Jahren hauptsächlich aus Moskau finanziert. Enorme Summen flossen in den Wiederaufbau der Hauptstadt Grosny, wenig aber in die Entwicklung der Wirtschaft, die es Tschetschenien erlauben würde, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen.
Absolute Macht in Tschetschenien
Putin lässt Kadyrow ohne offensichtliche Strafen gewähren, verleiht ihm höchste militärische Ränge und Orden - auch als 2015 der Verdacht aufkam, Kadyrow könne hinter der Ermordung des Politikers Boris Nemzow in Sichtweite des Kreml stehen. Strafverfolgungsbehörden gelang es nie, Verdächtige aus dem Umfeld Kadyrows zu belangen.
Die föderalen Sicherheitskräfte und auch der Inlandsgeheimdienst FSB haben keine Handhabe in Tschetschenien. Das machte Kadyrow schon 2007 klar, als er kurz nach seinem 30. Geburtstag für alt genug befunden worden war, um von Putin zum Präsidenten Tschetscheniens ernannt zu werden.
De facto hat die russische Zentralmacht in Tschetschenien weniger Möglichkeiten durchzugreifen als während der gesamten Zeit seit der Eroberung des Nordkaukasus durch das Zarenreich im 19. Jahrhundert.
Dynastie im Nordkaukasus
Kadyrow wiederum wird nicht müde, Putin wie einem feudalen Herren persönliche Treue zu schwören, um seine Ausnahmestellung im föderalen System Russlands zu rechtfertigen. Kadyrow als Statthalter Putins hat auch in der Heimat viele Feinde. Mit seinem brutalen Regime verfolgt er seine Gegner aus dem eigenen Volk bis ins Ausland.
Auch wenn in Tschetschenien die sichtbaren Erinnerungen an die beiden Kriege beseitigt wurden, blieben Traumata und Wut auf die russische Zentralmacht. Deshalb und aus Perspektivlosigkeit gingen viele tschetschenische Kämpfer nach Syrien, wo russische Truppen seit 2015 im Einsatz waren, und auch in die Ukraine. Am bekanntesten ist das Bataillon "Dschochar Dudajew", das an der Seite der Ukrainer kämpft. Dudajew war Präsident Tschetscheniens nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung 1991.
Um das Erstarken einer neuen Unabhängigkeitsbewegung und Gewalt zwischen Tschetschenen zu verhindern, duldet der Führungszirkel um Putin, dass Kadyrow mit seinen Töchtern und Söhnen inzwischen eine Dynastie aufbaut.