Serbiens Präsident Vucic Auf einmal ein Verräter
Seit dem Ende der jüngsten Konfrontation zwischen Serbien und Kosovo steht der serbische Präsident Vucic in der Kritik. Die Nationalisten, die ihn bislang als Verbündeten sahen, werfen ihm Verrat vor. Wie reagiert Vucic darauf?
Es kommt nicht oft vor, dass Serbiens Präsident lautstark kritisiert wird. Zu fest sitzt Alexander Vucic, dessen Regierungsstil autokratische Züge trägt, im Sattel. Nach seinem überraschenden Kurswechsel in der Kosovo-Frage aber wird er an diesem Donnerstag in der Nationalversammlung als Verräter beschimpft.
Als der Staatschef im Parlament seinen Kurswechsel verteidigt, halten ihm nationalistische Oppositionspolitiker Transparente und Schilder entgegen. Ihre Forderung: "Keine Kapitulation". Sie wollen eine klare Absage an den Plan, den Deutschland und Frankreich entwickelt hatten, um die anhaltenden Spannungen zwischen Serbien und Kosovo zu beenden. Dieser sieht unter anderem vor, dass die beiden Nachbarländer zwar einander formell nicht anerkennen, jedoch ihre staatliche Existenz wechselseitig akzeptieren.
Ein Abgeordneter der klerikal-nationalistischen Partei nennt Vucics Kurs "unerhört" und hält dem Präsidenten vor, dass er "keinerlei verfassungsrechtliche Ermächtigungen" habe. Aus den Reihen der Regierungsfraktion brandet immer wieder Applaus für den Präsidenten auf, doch das täuscht nicht darüber hinweg, dass Vucic unter starkem Druck steht.
Der kommt auch von außen. Einen Tag bevor der Staatspräsident seine Politik erläutert, bekommt er einen Anruf von US-Außenminister Anthony Blinken. Die USA wollen endlich Entspannung auf dem Balkan.
Die Kritiker von Vucic im serbischen Parlament werfen ihn "Verrat" vor und protestieren gegen ein angebliches Ultimatum an Serbien.
Skeptisch und staatstragend zugleich
Während der Parlamentssitzung verteidigt Vucic eineinhalb Stunden lang seine neue Linie. Er setzt auf Annäherung statt auf militärische Drohgebärden, wie noch vor wenigen Wochen. Vucic beschwichtigt: Noch sei nichts unterzeichnet. Man werde weitere Gespräche führen.
Vucic gibt sich skeptisch: Zahlreiche Punkte, die der deutsch-französische Plan zur Befriedung der Region auflistet, seien schwer oder gar nicht akzeptabel. Vucic gibt sich dann aber staatstragend: Der Schritt Richtung Entspannung sei im vitalen Interesse Serbiens. Er meint die Orientierung hin zur Europäischen Union.
Das sei sein erklärtes Ziel, wie Vucic erst vor wenigen Wochen in einem Zeitungsinterview versicherte. Serbiens starker Mann will den angestrebten EU-Beitritt nicht gefährden, und so sagt er heute: Serbien müsse auf dem "europäischen Weg" bleiben, weil davon "viele Dinge" abhingen, wie "Investitionen, der Lebensstandard, Pensionen und Gehälter".
Woher Vucic kommt
Dass dennoch jetzt zahlreiche Nationalisten Verrat rufen, hängt mit Serbiens Geschichte, aber auch mit Vucic selbst zusammen. Er kommt aus der nationalistischen Bewegung, duldet Demonstrationen für Putins Krieg gegen die Ukraine. Sein neuer Geheimdienstchef ist erklärter Russland-Freund. Zudem trägt Vucic die Sanktionen gegen Russland nicht mit. Das passt schlecht zu einer Annäherung an die EU.
Der Kosovo, um den es heute im Parlament geht, gilt in Serbien als abtrünnige Provinz. An mehreren Autobahnbrücken rund um Belgrad steht der Slogan "Kosovo = Serbien".
Für das nationalistisch denkende Serbien ist daher die Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos undenkbar. Während der Staatspräsident im Parlament spricht, meint draußen auf der Straße ein älterer Herr, ohne den Kosovo würde Serbien seine Identität verlieren.
Eine Frau nennt den Kosovo gar das "serbische Jerusalem" und warnt davor, das Thema nur politisch zu sehen. Für sie geht es um die serbische Seele. Die einfachen Bürger müssten jetzt darum kämpfen, was sie als gerecht vor Gott empfinden: "Wir dürfen nicht zulassen, dass unser serbisches Land (Kosovo) abgegeben wird. Aber, keine Sorge, es wird für immer serbisch bleiben, ganz sicher", sagt sie.
Der richtige Zeitpunkt für einen Kurswechsel
So laut die Kritik nun sein mag, für Vucic ist möglicherweise jetzt der richtige Zeitpunkt für seinen Kurswechsel. Einen Sturz muss der serbische Präsident nicht befürchten. Erst im letzten Jahr wurden er und seine Partei klar bestätigt. Die nächsten regulären Wahlen sind erst in drei Jahren.
Vucic könnte auch als Erfolg verkaufen, dass die kosovarische Regierung jetzt der Errichtung eines Verbandes der serbischen Gemeinden nicht mehr im Wege sehen will. Ein Schritt, der auch erst durch massiven Druck der USA und der EU auf Kosovos Premier Kurti erreicht wurde.
Die im Kosovo lebenden Serben, deren Zentren vor allem im Norden und Süden des Landes liegen, dürften mit einem Gemeindeverband jedenfalls weitreichende Autonomierechte bekommen.
Eine Mehrheit will in die EU
Normale Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo dürfte vor allem die junge Bevölkerung Serbiens begrüßen, die klar pro-europäisch denkt. Auch die Mehrheit der serbischen Gesellschaft will ihr Land in der Europäischen Union sehen, obwohl die Zustimmung zur EU zuletzt etwas gesunken ist.
Das weiß auch der Staatspräsident. In einem Interview mit der ARD sagte Vucic kürzlich:
Wenn man die Menschen fragt, wo sie leben wollen, dann bekommen sie immer dieselbe Antwort: in der Europäischen Union. Deshalb müssen wir dieses Durcheinander in der Region lösen, Frieden und Sicherheit schaffen - und dann kann man den Leuten sagen, wir müssen uns auf die Zukunft konzentrieren, und ich habe keine Zweifel, dass unsere Zukunft Europa und der EU gehören und wir ein Teil von Europa sind."
Danach scheint Vucic jetzt auch ganz konkret seine Politik auszurichten. Auch wenn allen Beteiligten klar ist, dass bis zu einer echten Entspannung zwischen Kosovo und Serbien noch viel Zeit vergehen wird.