
Mehr Unabhängigkeit von den USA Woher soll das Geld für Europas Verteidigung kommen?
Europa muss aufrüsten, darüber herrscht große Einigkeit. Doch wie soll das finanziert werden? Die Modelle reichen von der Belastung der nationalen Haushalte bis zur gemeinschaftlichen Verschuldung.
Von allen 32 NATO-Mitgliedsländern tragen die USA den Löwenanteil in der Allianz. Auch Europas Sicherheit hängt von US-amerikanischen Soldaten und Waffen ab - vor allem von militärischen Spezialfähigkeiten, die die Europäer im Moment nicht besitzen. Lufttransport für Panzer und Truppen zum Beispiel, aber auch Satellitenaufklärung.
Damit die Europäer sich ohne US-amerikanische Unterstützung gegen Russland verteidigen können, sind nach Berechnungen des Brüsseler Thinktanks Bruegel und des Kiel Instituts für Weltwirtschaft rund 250 Milliarden Euro erforderlich - jährlich und zusätzlich zu den jetzigen Rüstungsausgaben. Konkret geht es um rund 50 Brigaden mit insgesamt 300.000 Soldaten und 3.400 neuen Panzern. Zum Vergleich: Die Aufstellung einer einzigen neuen Brigade in Litauen mit rund 5.000 Soldaten und Soldatinnen fordert die Bundeswehr gerade bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.
Die Schuldengrenzen lockern - was bringt das?
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will in dieser Woche eine Aufweichung der Schuldengrenzen vorschlagen, die der Maastricht-Vertrag für die EU vorschreibt. Das würde den Regierungen erlauben, Milliardensummen für Panzer, Kampfflugzeuge und Munition auszugeben, ohne dass die Investitionen auf die Defizitgrenze angerechnet würden. Bundeskanzler Scholz unterstützt den Vorschlag, er entspricht dem bisherigen deutschen Interesse, dass die Verteidigung in nationaler Zuständigkeit bleibt und Rüstungsausgaben aus den Haushalten der Mitgliedsländer finanziert werden.
Um die Sicherheitskooperation trotzdem zu beschleunigen, schlägt die Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre (EPC) vor, dass die 27 jetzt nicht lange um einstimmige Beschlüsse ringen, sondern dass stattdessen die bereitwilligen Länder vorangehen. Auch Nicht-EU-Länder wie Großbritannien und Norwegen sollen dabei sein. In einem Fördertopf (Europäische Sicherheitsfinanzierungsfazilität) könnten Gelder dieser "Koalition der Willigen" dann mit finanzieller Hebelwirkung gebündelt werden.
Gemeinsam Schulden machen - Favorit der Südeuropäer
Frankreich, Spanien, Italien und Griechenland wollen, dass Europas Aufrüstung mit europäischen Gemeinschaftsschulden bezahlt wird, das würde ihre hochverschuldeten nationalen Haushalte schonen. Allen voran fordert Frankreichs Präsident Macron einen europäischen Milliardenfonds für Verteidigung nach dem Vorbild des Corona-Hilfsfonds.
Euro-Bonds, allein das Wort ließ noch jeden deutschen Finanzminister die Stirn in Falten legen. Und Deutschland ist nicht allein mit seinen Vorbehalten, auch andere Länder mit strenger Haushaltsdisziplin haben Vorbehalte. Sie wollen die Verteidigungsausgaben lieber wie bisher in der Zuständigkeit der nationalen Regierungen halten. Allerdings bliebe dann die Frage offen, wie Länder wie Spanien und Italien, die weniger als 1,5 Prozent ihrer Wirtschaftskraft für Verteidigung ausgeben, angesichts ihrer hohen Staatsverschuldung auch nur in die Nähe des Zwei-Prozent-Ziels der NATO gelangen können.
Gemeinsam Waffen bestellen liegt nahe - warum ist das so schwierig?
Bisher war der gemeinsame Kauf von Rüstung die Ausnahme in der EU. Mit der Folge, dass in Europa rund fünf Mal so viele Waffensysteme im Einsatz sind wie in den USA. Rein ökonomisch betrachtet wäre es sinnvoller, die Entwicklung neuer Waffen auszuschreiben und den Auftrag an diejenigen Rüstungsunternehmen zu vergeben, die das attraktivste Angebot machen. Wenn dann alle Armeen beispielsweise das einmal festgelegte Panzermodell kaufen, könnte in hoher Stückzahl kostengünstig produziert werden.
Was ökonomisch vernünftig erscheint, stößt aber immer wieder auf nationale Eitelkeiten. Verteidigungsminister kauften bisher gern bei den heimischen Waffenschmieden ein, gemeinsame Projekte dauerten wegen aufwändiger Abstimmungsprozesse oft zu lange. Trotzdem liegt in der gemeinsamen Beschaffung nach Experteneinschätzung das größte Potenzial für eine finanzierbare Aufrüstung.
Günstige Kredite bei der Europäischen Investitionsbank
Viele EU-Länder sind sich einig, dass die Europäische Investitionsbank (EIB) zinsgünstige Kredite für die Beschaffung von Waffen und Munition vergeben soll. Bisher ist das nicht mit den Statuten der Bank vereinbar. Waffenproduktion wird nur im Ausnahmefall mit Krediten unterstützt - im Grunde nur, wenn die Waffen auch zivil genutzt werden können, Satelliten zum Beispiel oder Drohnen. Eine Lockerung der Regeln könnte insbesondere die zuliefernden mittelständischen Unternehmen mit zinsgünstigen Krediten versorgen.