
Nach Eklat bei Selenskyj-Besuch "Die USA haben sich entschieden"
Europa müsse sich von dem Missverständnis verabschieden, mit US-Präsident Trump sei eine gemeinsame Politik möglich: Der Historiker Zimmer fordert, die neue Politik der USA als das zu akzeptieren, was sie ist.
Angesichts des Eklats im Weißen Haus sieht der deutsche USA-Experte Thomas Zimmer von der Georgetown University (Washington) keinen Weg mehr zurück zu einem guten transatlantischen Verhältnis mit der Regierung von Präsident Donald Trump. Zimmer sagte im Interview mit tagesschau24, die Konfrontation Trumps und seines Stellvertreters JD Vance mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj habe verdeutlicht, wohin sich die USA bewegten: Weg von liberalen Demokratien in Europa, hin zu autokratischen Herrschern wie Wladimir Putin in Russland.
tagesschau24: Ist der Bruch der Beziehungen zwischen den USA und der Ukraine irreparabel?
Thomas Zimmer: Das Verhältnis zwischen der Trump-Regierung und der Ukraine ist irreparabel. Oder um es ein bisschen präziser zu sagen: Es hat sich zweifellos zu einem antagonistischen Verhältnis gewandelt, in dem die USA nicht mehr auf der Seite der Ukraine stehen. Aber das liegt nicht an dem, was da im Weißen Haus passiert ist.
Das war zweifellos ein groteskes Schauspiel, auch ein beispielloser Moment in der amerikanischen Geschichte. Aber es ist nicht die Ursache einer veränderten Haltung der USA, sondern selbst Ausdruck davon, dass Trump und seine Regierung vollkommen abgerückt sind. Abgerückt ja nicht nur davon, die Ukraine zu unterstützen, sondern viel grundsätzlicher von der liberalen Weltordnung, in der die Trumpisten eine Lüge sehen.
Das ist ja auch die Position, die Vizepräsident JD Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz vor zwei Wochen bezogen hat: eine eindeutige Parteinahme gegen die liberalen Demokratien in Europa. Und das ist die Position, die Trump am Mittwoch bezog, als er die EU als feindliches, antiamerikanisches Projekt beschrieben hat.
Insofern ist das, was wir da erlebt haben, nur ein weiterer Beleg dafür, wie grundsätzlich die USA sich von Demokratie und liberaler Ordnung abgekehrt haben.

"Gezielter Angriff des amerikanischen Präsidenten"
tagesschau24: US-Präsident Trump hatte in seinem Wahlkampf quasi versprochen, dass der Krieg gegen die Ukraine innerhalb von 24 Stunden durch ihn beendet würde. Das ist offensichtlich nicht erfolgt. Es gibt die Theorie, dass der US-Präsident einfach einen Schuldigen dafür sucht, warum es mit dem Frieden in der Ukraine nicht so schnell geht. Ist diese Theorie stichhaltig?
Zimmer: Wir haben es hier nicht nur mit einer momentanen Entgleisung zu tun, einer Art Ausrutscher. Was da passiert ist, war tatsächlich der Plan. Das war ein gezielter Angriff des amerikanischen Präsidenten und des Vizepräsidenten auf einen nominellen Verbündeten. Ich glaube nicht so sehr wegen der Wahlkampfversprechen.
Sondern das hat zum einen das Ziel gehabt, den ukrainischen Präsidenten vorzuführen. Das ist genau diese neue Art von aggressiver Dominanzpolitik, die zum Charakteristikum der amerikanischen Außenpolitik unter Trump werden wird. Das hatte auch das Ziel, ganz klar nach innen und nach außen zu demonstrieren, dass die USA eben nicht mehr auf der Seite der Ukraine und der Europäer stehen.
Zum anderen hatte es das Ziel, dieses Spektakel als Vorwand zu nutzen, um jetzt die militärische Hilfe für die Ukraine einzustellen. Damit droht jedenfalls die Trump-Regierung, unmittelbar nach diesem Eklat, haben Sie das verlauten lassen. Das ist jetzt ja schon sehr lange und länger das erklärte Ziel von Donald Trump.
"Abwendung von der liberalen Weltordnung"
tagesschau24: Manche Analysten sagen, dass Selenskyj sich bei dem Gespräch taktisch ungeschickt verhalten habe, weil er vor laufenden Kameras eine Grundsatzdebatte über US-amerikanische Sicherheitsgarantien und Kriegshilfe gestartet hat. Wie sehen Sie das?
Zimmer: Das halte ich für völlig verfehlt, weil es auf einem ganz grundsätzlichen Missverständnis aufbaut: Der Vorstellung, dass sich die Position Trumps in dieser Frage durch taktisches Geschick und diplomatische Finesse steuern lasse. Das ist Wunschdenken, das sich weiterhin an die Idee klammert, Trump hätte gar keine konsistente Position. Er sei doch vielleicht nur ein Geschäftsmann, der eben einen guten Deal aushandeln wolle und außerdem jemand, den man durch Schmeichelei irgendwie alles verkaufen könne.
Das lässt aber völlig außer Acht, dass Trump ja nun schon seit vielen Jahren eine sehr klare Haltung in diesem Konflikt und eine sehr klare Neigung zu Russland und autokratischen Herrschern wie Putin hat. Es lässt auch völlig außer Acht, dass die trumpistischen Kräfte, die nun an der Macht sind, in den USA ein klares, ideologisch definiertes Projekt verfolgen. Die meinen das wirklich ernst mit der Abwendung von der liberalen Weltordnung, von Europas liberalen Demokratien. Denen schwebt was ganz anderes vor. Wir müssen uns von der Idee lösen, mit ein bisschen Geschick, mit ein bisschen Fingerspitzengefühl ließe sich das alles irgendwie abwenden.
"Es ist einfach das, wonach es aussieht"
tagesschau24: Gibt es denn Punkte, in denen Trump und Vance inhaltlich recht hatten?
Zimmer: Nein, gibt es nicht. Ich verstehe, dass das vielleicht so klingt, als wäre es zu wenig differenziert. Ich hoffe, dass sich wirklich alle selbst in voller Länge diese Sache anschauen. Ich gebe Ihnen drei konkrete Beispiele, warum die eben nicht recht haben mit dem, was sie sagen.
Vance und Trump sagen, Selenskyj solle doch den Deal annehmen. Aber welchen Deal denn? Es gibt ja gar keinen Deal. Es gibt nur die Forderung, die Ukraine solle gefälligst Russlands Bedingungen erfüllen. Vance und Trump werfen Selenskyj vor, er sei undankbar. Aber bei jedem öffentlichen Termin in den USA, bei jedem politischen Auftritt, hat Selenskyj seine Dankbarkeit, auch überschwänglich mit großer Emotion, ausgedrückt.
Vance wirft Selenskyj vor, er habe im Herbst in Pennsylvania Wahlkampf für die Demokraten gemacht. Selenskyj war in der Tat in Pennsylvania im September unterwegs, aber nicht bei Wahlkampfveranstaltungen, sondern er hat eine Munitionsfabrik besucht und sich da ausgiebig bedankt für die Unterstützung der Arbeiterinnen und Arbeiter in dieser Munitionsfabrik.
Ich würde mir wirklich wünschen, dass wir aufhören könnten, nach Wegen zu suchen, das was da passiert, irgendwie doch als etwas anderes zu beschreiben, als das, wonach es aussieht. Denn es ist einfach das, wonach es aussieht. Die USA haben sich entschieden, in ein antagonistisches Verhältnis zu der Ukraine und den europäischen Demokratien zu treten.
"Die Ukraine steht ja heute eigentlich besser da"
tagesschau24: Wo hatte denn Selenskyj recht?
Zimmer: Der Moment, in dem das richtig losging, war, als Vizepräsident JD Vance sagte, Selenskyj müsse nun mal eben den diplomatischen Weg versuchen, er solle mal die Diplomatie versuchen. Selenskyj fragte daraufhin: Was das denn heißen soll, Diplomatie? Das ist doch eine berechtigte Frage. Vor allem, wo doch Trump selbst ganz deutlich signalisiert hat, er werde über die Ukraine hinweg und ohne ukrainische Beteiligung die Lösung dieses Konflikts mit Putin finden. Was erwartet man dann eigentlich von dem Präsidenten der Ukraine?
Wenn man jetzt fragt, was Selenskyi richtig gemacht hat in dieser Situation, mit der er konfrontiert war, dann kann man vielleicht sagen: Die Ukraine steht ja heute eigentlich besser da, als vor dem Eklat. Denn zusammengenommen mit dem Auftritt von Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz sollte doch jetzt in Europa wirklich allen klar sein, mit wem man es hier in den USA zu tun hat. Da sollte jetzt letzte Zweifel ausgeräumt worden sein. Aus ukrainischer Sicht wäre das ja wenigstens ein Lichtblick, der jetzt aus dieser Sache herausgekommen sein könnte.
"Europa muss sich auf sich selbst konzentrieren"
tagesschau24: Gibt es denn darüber hinaus noch irgendetwas, was der Ukraine Hoffnung geben könnte bezüglich ihrer Beziehung zu den USA?
Zimmer: Jedenfalls nicht, was die Trump-Regierung angeht. Ich betone es noch mal: Die meinen das ernst mit ihrer Abkehr von der Ukraine, ihrer Hinwendung zu Putin, zu den autokratischen Regimen und mit ihrer Abkehr von der liberalen Weltordnung. Ich glaube nicht, dass da Zweifel bestehen auf Seiten Selenskyjs.
Hoffnung könnte bestehen auf der Ebene unterhalb der amerikanischen Regierung, denn Selenskyj selber ist sehr beliebt in der amerikanischen Bevölkerung, beliebter als Trump, deutlich beliebter als Putin. Es gibt ja jetzt auch ein großes Entsetzen und große Empörung in der amerikanischen Zivilgesellschaft über das, was da passiert ist. Da gibt es Unterstützung für die Ukraine. Inwiefern sich das in tatsächliche materielle Unterstützung für die Ukraine umsetzt, ist eine ganz andere Frage.
Ansonsten muss sich die Ukraine auf Europa konzentrieren und Europa muss sich auf sich selbst konzentrieren. Als Reaktion haben wir ganz breite Solidaritätsbekundungen gesehen von den Staats- und Regierungschefs in Europa. Auch beispielsweise von Friedrich Merz, der sich ja ganz klar positioniert und aufseiten Selenskyjs gestellt hat. Da muss die Hoffnung liegen für die Ukraine.
Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, noch weiter Hoffnungen darin zu hegen, dass mit Trump, mit der trumpistischen Regierung oder mit der Republikanischen Partei noch eine andere Politik zu machen sei als das, was wir nun erlebt haben.
Das Gespräch führte Ralph Baudach für tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde das Interview leicht angepasst.