Schleusung wieder straffrei Mehr Flüchtlinge aus Niger und Mali?
Nach dem Militärputsch im Niger hat das Land Vereinbarungen mit der EU gekündigt - auch eine, die das Schleusen für illegal erklärte. Auch wegen des UN-Blauhelm-Abzugs aus Mali fürchtet Europa, dass sich nun mehr Geflüchtete auf den Weg machen.
Für Sambo Cissé ist es im Wortsinn eine Reise ins Ungewisse: Der junge Mann ist aus dem Krisenstaat Mali geflohen. Doch wohin ihn die Straße führen wird, die vor ihm liegt, ist völlig unklar: "Ich weiß nicht, wohin ich mich orientieren soll, vielleicht nach Algerien oder Libyen, um dann nach Europa zu gelangen."
Wie, wann und ob Cissé überhaupt in Europa ankommen wird - das weiß er nicht. Welche Gefahren auf diesem weiten Weg nach Europa lauern, davon hat der Mann nur eine ungefähre Ahnung. Er weiß nur eins: Er musste weg von zu Hause, musste raus aus Mali. "Weil ich eine Frau habe und Kinder, aber ich habe keine Arbeit. Ich bin gezwungen, weit weg zu gehen, um Arbeit zu suchen, um der Familie zu helfen", so Cissé.
Weiter Weg bis zum Mittelmeer
Für den Moment befindet sich Cissé in der Stadt Agadez in Niger. Dem "Tor zur Wüste", wie es auch genannt wird, dicht an der Grenze zu Mali. Es ist einer der wichtigsten Orte auf der Flüchtlingsroute in Richtung Norden. Hinter der Wüste, wenn man es denn hindurchschafft, kommt das Mittelmeer. Doch bis dort ist der Weg noch sehr weit.
Agadez ist, wenn man so will, zu neuem Leben erwacht. Seit Ende November die Militärregierung in Niger einen Deal mit der EU aufgekündigt und ein Gesetz für nichtig erklärt hat, welches das Schleusen von Migranten in Niger unter Strafe stellte.
Mit Auswirkungen, die noch nicht absehbar sind: "Man kann nicht sagen, dass die Zahlen sofort gestiegen sind. Noch kann man das nicht direkt feststellen, weil es noch nicht so lange her ist, dass das Gesetz abgeschafft wurde", erklärt Amadou Oumarou, der sich selbst "Dienstleister" im Flüchtlingsgewerbe nennt.
Blick über Agadez, einem der wichtigsten Orte auf der Flüchtlingsroute nach Norden.(Archiv)
Zahl der Vertriebenen könnte steigen
In Europa jedenfalls zeigt man sich "besorgt" wegen der Streichung des Gesetzes. Überhaupt spricht in der ganzen Region alles dafür, dass die Zahl der Vertriebenen noch steigen wird: Im Norden Malis, wo die UN-Blauhelme gerade ihre Friedensmission beendet haben, prallen Terrorgruppen, Tuareg-Separatisten und malische Armee wieder heftiger aufeinander als in den Jahren zuvor.
"Es wird mehr Flüchtlinge aus Mali geben. Jetzt wird Gao auch unsicherer werden, wo dort die Bundeswehr weg ist. Die Menschen werden verstärkt nach Niger gehen", glaubt Ulf Laessing, Leiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Malis Hauptstadt Bamako. Gao ist die Region, aus der die Bundeswehr gerade abgezogen ist.
Bedrohlichere Lage in Niger
Doch auch in Niger selbst wird die Lage immer bedrohlicher: Die Terrorgruppe "Islamischer Staat" hat die Zahl ihrer Anschläge im Monat nach dem Militärputsch Ende Juli vervierfacht, heißt es von Seiten der Hilfsorganisation "International Rescue Committee" (IRC). Schon jetzt sind laut IRC in Niger 700.000 Menschen auf der Flucht und 4,5 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Was aus Sicht des Soziologen und Migrationsexperten Olaf Bernau allerdings noch lange nicht heißt, dass die sich nun alle auf den Weg nach Europa machen. Bernau erwartet daher trotz Gesetzesänderung - keine explosiv steigenden Migrationszahlen: "Das wird sich auch nicht ändern, weil letztendlich die Menschen in Niger viel zu arm sind, um eine Migration bis Europa bezahlen zu können. Das ist auch der Grund warum bislang so wenig aufgebrochen sind."
Buchautor Bernau hält überhaupt Szenarien, dass Europa eine Massenmigration aus Afrika bevorstehe, für übertrieben: Allein aus Venezuela seien 2022 mehr Asylbewerber in Europa angekommen als aus den Ländern Afrikas zusammengenommen, rechnet er vor. Zahlen belegen, dass die Menschen überwiegend auf dem Kontinent migrieren.
Reise ohne Wahl
Im nigrischen Agadez jedenfalls, einer Stadt, die vom Geschäft mit den Migranten lebt, wird die Abschaffung des Anti-Schleusergesetzes gefeiert. "Es wird die Wirtschaft in der Region ankurbeln", meint Oumarou. Außerdem würde die Reise für die Migranten sicherer, weil sie sich keine dunklen Pfade abseits der Hauptrouten suchen müssten.
Dass aber Cissés Reise, der ja nach Europa will, eine sichere wird, ist eher unwahrscheinlich. Eine Wahl hat der Malier aus seiner Sicht dennoch nicht. Er möchte nicht seine daheim wartende Frau und seine Kinder enttäuschen.