Nach erneutem Bootsunglück im Mittelmeer Wut und verzweifelte Appelle
"Wir machen aus dem Mittelmeer einen Friedhof". Mit diesen Worten hat Maltas Premier ein Umdenken in der EU-Flüchtlingspolitik gefordert. 34 Menschen starben bei dem neuen Bootsunglück. 211 Menschen konnten gerettet werden.
Das neue Unglück im Mittelmeer hat in den Ländern, die direkt mit der Lage fertig werden müssen - Italien und Malta - erneute Diskussionen ausgelöst. Und in denen sind sich die meisten darin einig, dass es so nicht weiter gehen kann.
So will zum Beispiel auch Angelo Kardinal Bagnasco verstanden werden, der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz: "Italien ist das Tor nach Europa. Es darf nicht allein gelassen werden", mahnt er. "Wir müssen uns des Themas Immigration auf europäischer Ebene annehmen - ganz dringend und ohne reine Deklarationen, die dann nur Worte bleiben."
Mehr als 200 Menschen gerettet
34 Tote gab es dieses Mal, schon wieder ist ein Schiff voll mit Migranten auf dem Mittelmeer gekentert. 211 Menschen konnten gerettet werden, weil die Hilfskräfte schnell vor Ort waren - und auch, weil die maltesischen und italienischen Behörden offenbar gut zusammenarbeiteten. Das Flüchtlingsboot sank etwa 65 Seemeilen südöstlich der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa - in diesem Bereich kontrolliert Malta die internationalen Gewässer. Aber zwei Schiffe der italienischen Kriegsmarine waren in der Nähe und konnten schnell eingreifen und viele Leben retten. Mehr als 140 Flüchtlinge wurden nach Malta gebracht, die restlichen nach Italien.
"Wir machen aus dem Mittelmeer einen Friedhof"
Dies war wieder ein Tag der Wut und der verzweifelten Appelle. Maltas Premierminister Joseph Muscat will, dass Europa die Augen öffnet und endlich gemeinsam ein Problem angeht, das für seinen kleinen Inselstaat offenkundig ist. "Wir fühlen uns von Europa allein gelassen wie noch nie. Ich weiß nicht, wie viele Menschen noch auf dem Meer sterben müssen, bevor etwas passiert", sagt Muscat und fügt hinzu. "Wir machen aus dem Mittelmeer einen Friedhof. Bis jetzt haben wir nur Worte gehört, aber wenig mehr als das."
Muscat und sein italienischer Kollege Enrico Letta sind sich darin einig, dass das Thema Flüchtlinge und Migration ganz oben auf die europäische Tagesordnung gehört. Schon beim nächsten EU-Gipfel am 24. und 25. Oktober in Brüssel sollen die Staats- und Regierungschefs darüber diskutieren und nach gemeinsamen Lösungen suchen.
In Italien hat aber auch eine innenpolitische Diskussion begonnen: Unter anderem über die Frage, ob der Straftatbestand der illegalen Einreise abgeschafft gehört, aber auch über die Situation in den Flüchtlingslagern, wo die Probleme keine europäischen sind, sondern vor allem italienische.
"Die Verfassung ist klar: Italien bietet Asyl"
Der Politiker und Verfassungsrechtler Stefano Rodotà hat eine Unterschriftenaktion mitinitiiert, die sich gegen die Kriminalisierung von Migranten wendet. "Die Verfassung ist in dieser Frage sehr klar: Italien bietet politisches Asyl, Italien respektiert die Menschenwürde", sagt er. "Das Verfassungsgericht hat unendlich oft gesagt, dass es Grundrechte gibt, die respektiert werden müssen, auch für die irregulären Migranten. Das ist der Königsweg, den wir gehen müssen, es gibt dazu keine Alternative."
Die Bürgermeisterin von Lampedusa, Giusi Nicolini, hat schon zu viele warme Worte gehört. Sie sagt, was jetzt auf ihrer Insel passiert, sei nicht etwa der Ausnahmezustand, sondern seit Jahren die traurige Normalität. Heute konnte sie mitansehen, wie von ihrer Insel die ersten Särge mit den Toten des Unglücks der vergangenen Woche abtransportierten wurden. 339 Menschen waren beim Kentern eines Flüchtlingsbootes vor Lampedusa gestorben. Sie sollen ein Staatsbegräbnis bekommen.
Das Aufnahmelager auf der Insel platzt aus allen Nähten. Am Samstag rettete die italienische Küstenwache schon wieder weit mehr als 200 Migranten, die in Seenot geraten waren. In diesem Jahr haben es bereits etwa 32.000 über das Mittelmeer nach Italien und Malta geschafft. Wie viele es nicht geschafft haben und bei der Überfahrt ums Leben gekommen sind, kann niemand genau sagen.