Präsident des Europaparlaments Das Pokerspiel um Schulz beginnt
Die Tage von Martin Schulz als Präsident des Europäischen Parlaments sind eigentlich gezählt. Bald wollen die Konservativen den Posten mit einem eigenen Kandidaten besetzen - so wie vereinbart. Doch die Sozialdemokraten wollen noch um den Posten pokern.
Ob auf ungezählten Auslandsreisen oder in Interviews für Funk und Fernsehen, ob bei pointierten Auftritten am Rande von EU-Gipfeln oder leidenschaftlichen Appellen im Plenum: Martin Schulz ist in der Krise nicht nur medial omnipräsent und macht sich unermüdlich für die europäische Sache stark: "Jetzt ist es an der Zeit, für Europa zu kämpfen. Jetzt müssen alle Europäerinnen und Europäer aufstehen und sich zu unserem Europa bekennen."
Dass der gelernte Buchhändler und Karlspreisträger dabei auch gern mal übers Ziel hinausschießt und die eigene Person und Bedeutung stets ins rechte Licht zu rücken weiß, nimmt ihm in Brüssel kaum jemand übel.
Eher schon, dass er allzu sehr mit seinem Duzfreund und politischen Zwillingsbruder, dem konservativen Kommissionschef Jean-Claude Juncker, kungelt und sich bei regelmäßigen Arbeitsessen - nach Gutsherrenart - über wichtige strategische Fragen abstimmt. Nicht immer im Einklang mit parlamentarischen Gepflogenheiten, wie mancher Oppositionsvertreter bei ausgeschalteten Mikrofonen beklagt.
"Wie früher mit dem Europäischen Rat habe ich mich mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, meinem Freund Martin Schulz, abgesprochen. Es passt nicht sehr viel Papier zwischen uns beide", beschreibt Juncker sein Verhältnis zu dem SPD-Politiker.
Doch noch eine dritte Runde?
Nun jedoch scheinen die trauten Tage des Duos Juncker-Schulz gezählt, denn die Amtszeit des letzteren geht ihrem Ende entgegen. Dass man dem keineswegs pensionsreifen Parlamentspräsidenten ausnahmsweise doch noch eine dritte Runde gewähren sollte, um in stürmischen Zeiten für Kontinuität zu sorgen - dieser Rat des Luxemburgers stößt bei Parteifreunden in Straßburg und Brüssel auf Widerstand.
Die stärkste Fraktion im Parlament, die christdemokratische EVP, der auch CDU und CSU angehören, pocht vielmehr auf den Deal, den man gleich nach der Wahl, im Frühjahr 2014, besiegelt hatte: "Es gibt eine klare Verabredung. Wir halten uns immer an Verabredungen. Ich hoffe, dass die Sozialdemokraten das auch tun. Das heißt, dass wie üblich nach zweieinhalb Jahren gewechselt wird", sagt Herbert Reul, Chef der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament.
Er gehört zu den wenigen, die sich in der heiklen Debatte offen äußern. Trotzdem kann man davon ausgehen, dass die Mehrheit der Kollegen seinen Standpunkt teilt. Zur Hälfte der fünfjährigen Wahlperiode, also spätestens im kommenden Januar, will die EVP den Präsidentenstuhl selbst besetzen, wofür sie freilich die Stimmen der Sozialdemokraten braucht.
Ungewisse Nachfolge
Wer aus dem bürgerlichen Lager demnächst in Schulz' übergroße Fußstapfen treten und welchen Posten dieser stattdessen übernehmen könnte, ist völlig ungewiss. An Bewerbern zumindest fehlt es nicht: Ihre Ansprüche angemeldet haben zum Beispiel der frühere Industriekommissar Antonio Tajani, aus Italien, und der französische Haushaltsexperte Alain Lamassoure.
Mit der Irin Mairead McGuinness ist auch eine profilierte Frau im Rennen. Keinem der Kandidaten wird allerdings zugetraut, die entstehende Lücke auf Anhieb zu füllen.
Für den CDU-Mann Reul ist das freilich kein Grund, um des informellen Koalitionsfriedens willen noch einmal zu verzichten, "weil wir das Königtum in Europa noch nicht eingeführt haben".
Vorentscheidung steht an
In den kommenden Tagen könnte in Sachen Thronfolge eine Vorentscheidung fallen. Während die Christdemokraten bereits an einem Zeitplan feilen und ihren Bewerber bis Dezember küren wollen, mag das Schulz-Lager die Hoffnung auf eine Wendung in seinem Sinne noch nicht ganz aufgeben.
Auf eine Kampfabstimmung wolle man es zwar nicht ankommen lassen, heißt es. Trotzdem schließt man nicht aus, dass die EVP doch noch einlenkt. Ein Tauschgeschäft sei immer noch denkbar, zumal die Konservativen den Kommissionschef und den Ratspräsidenten stellen. Der erfahrene SPD-Abgeordnete Jo Leinen wird mit den Worten zitiert, das Pokerspiel gehe nun erst richtig los.