Vor Parlamentswahl in der Ukraine Zwischen Demokratie und Oligarchie
Am Sonntag finden in der Ukraine Parlamentswahlen statt. Dazu ist auch eine 15-köpfige Beobachterdelegation des Europäischen Parlaments angereist. Ihnen macht weniger der Urnengang selbst als mehr das Wahl- und Parteiensystem Sorgen.
Es hört sich nach gelöster Stimmung an: Die EU-Wahlbeobachter haben den ganzen Tag Politiker getroffen, sich von Experten informieren lassen und Vertretern der Zivilgesellschaft zugehört. Und nun schießen am Abend ein paar junge Bürgerrechtler noch schnell ein Erinnerungsfoto mit der deutschen Wahlbeobachterin Rebecca Harms.
Hoher Erwartungsdruck
Die Fraktionschefin der Grünen ist seit vielen Monaten so gut wie Dauergast in der Ukraine, sie hat sich wie keine andere im Europaparlament die Sache der pro-europäischen Reformbewegung dort zu eigen gemacht. In Feierlaune ist aber niemand so richtig. Denn was sie in den Briefings zu hören bekam, hat Rebecca Harms noch mal die ganze Dramatik der Situation vor Augen geführt. "Es gibt einen unglaublichen Erwartungsdruck an die politische Klasse hier, dass dieses Land sich verändern muss."
Hohe Erwartungen an die Wahlen auf der einen Seite und eine fast verzweifelte Lage auf der anderen, das empfindet auch der Berliner Europaabgeordnete Joachim Zeller so: "Und nun wird es davon abhängen, dass das neu gewählte Parlament bald zu einer stabilen Regierungsbildung kommt, damit die Probleme des Landes - die immens sind - angegangen werden können."
Korruption und Einfluss der Oligarchen als Problem
Was die Menschen laut Harms vor allem wollen, ist, dass die grassierende Korruption aufhört und dass die Herrschaft der Oligarchen geknackt wird. Aber die Grüne ist sich ebenso wie ihr Kollege von der CDU alles andere als sicher, dass die Wahlen den Weg dafür bereiten können.
Zwar dürfte in den Wahllokalen am Sonntag und bei der Stimmenauszählung alles - oder zumindest fast alles - ordnungsgemäß über die Bühne gehen. Aber die superreichen Wirtschaftsbosse haben sich schon vorher ihren Einfluss gesichert. "Man braucht, wenn man eine Partei gründen will, nicht als erstes ein Programm, sondern einen Oligarchen, der das finanziert und der am besten noch einen Fernsehsender mitbringt", so Harms.
Immer wieder gibt es auch Berichte, dass Wählern Geld oder kleine Geschenke angeboten werden, damit sie ihr Kreuzchen hinter der richtigen Partei machen. Zwar schätzen die beiden deutschen Wahlbeobachter, dass dieses Phänomen nach der Maidan-Revolution nicht mehr so allgegenwärtig ist wie früher. Aber gut sei das Wahlsystem immer noch nicht. "Eine der wichtigsten Reformen ist, jenseits der ganzen Wirtschaftsreformen, eine Reform dieses Wahlsystems und auch eine Veränderung des ganzen Parteiensystems", meint die Grünen-Politikerin.
Wahlen in Ostukraine unmöglich
Und dann ist da natürlich auch noch der Bürgerkrieg in weiten Teilen der Ostukraine, der sich wie ein Schatten über die Wahlen legt. Die allermeisten Menschen in den beiden von den prorussischen Separatisten kontrollierten Bezirken Donezk und Lugansk - immerhin ein Zehntel aller Stimmberechtigten - haben gar nicht die Möglichkeit, am Sonntag mitzuwählen. Von der von Russland annektierten Krim-Halbinsel ganz zu schweigen. Im neuen Parlament werden nun mehrere Dutzend Sitze nicht besetzt, symbolisch freigehalten für die nicht gewählten Abgeordneten aus diesen Gebieten.
Aber natürlich gibt es auch Entwicklungen, die Hoffnung wecken. Joachim Zeller setzt da auf die vielen unabhängigen Neueinsteiger, die sich um einen Parlamentssitz bewerben: Aktivisten des Maidan, Journalisten, Bürgerrechtler. "Vielleicht bringt das genau den frischen Wind in die ukrainische Politik, den das Land braucht", hofft der CDU-Politiker. Aber so weit ist es noch nicht. Am Sonntag muss erst mal die Wahl ohne Störungen, ohne Gewalt und ohne Fälschungen überstanden werden. Harms und Zeller werden das mit ihren Kollegen des Europaparlaments in den Wahllokalen beobachten.