US-kanadische Grenze Straße der Hoffnung für Migranten
Wer aus den USA kommend in Kanada Asyl suchen will, wird abgewiesen. Es sei denn, man überquert die Grenze illegal - wie an der Roxham Road. 98 Prozent aller Asylsuchenden gelangen über diese Straße ins Land.
Die Roxham Road ist eine unscheinbare Kiesstraße zwischen dem US-Bundesstaat New York und der kanadischen Provinz Quebec. Früher flohen Sklaven aus dem Süden der USA hier in die Freiheit nach Kanada. Danach interessierten sich höchstens noch Schmuggler für die lange Zeit ungesicherte Grenzstraße, sagt Frances Ravensbergen von der Organisation Bridges not Borders - "Brücken statt Grenzen".
"Hier gab es nichts - bis 2017, als viele Menschen aus Haiti kamen", erklärt Ravensberger. "Dann hat die Polizei zunächst ein Zelt aufgebaut. Danach eine Baracke. Dann ein richtiges Gebäude mit Toiletten. Und jetzt haben wir hier einen voll ausgerüsteten Polizeiposten."
Meist bringen Taxis die Migranten aus der nächstgelegenen Stadt Plattsburgh hierher zur Roxham Road. 70 US-Dollar pro Person kostet das, 90 US-Dollar für eine Familie. Kanadische Polizisten nehmen die Menschen in Empfang.
"Sicherer Ort, um nach Kanada zu kommen"
Inzwischen überfliegen Drohnen das Gelände, Kameras überwachen die Umgebung, rund um die Uhr sind Beamte im Einsatz. Denn die Roxham Road ist in den vergangenen Jahren zur Straße der Hoffnung für viele Migranten geworden, die lieber in Kanada als in den USA leben wollen. Allein im vergangenen Jahr waren es 40.000. Dieses Jahr bereits jetzt mehr als 10.000.
"Die Leute wissen: Wenn sie nach Kanada kommen wollen, ist das ein sicherer Ort dafür. Hier werden sie festgenommen und dann mit Bussen zum örtlichen Grenzposten transportiert. Von dort geht es nach Montreal, wo sie Papiere bekommen und dann einen Asylantrag stellen können", so Ravensbergen.
Möglich ist das nur, weil die Roxham Road ein illegaler Grenzübergang ist. An einem legalen müssten die Menschen abgewiesen werden. So sieht es ein Abkommen mit den USA vor, das 2004 abgeschlossene sogenannte Safe Third Country Agreement.
"Es ist illegal, von hier aus Kanada zu betreten"
Auch heute sind wieder Migranten zur US-Seite der Roxham Road gekommen. Meist bringen Taxis sie aus der nächstgelegenen Stadt Plattsburgh hierher. 70 US-Dollar pro Person kostet das, 90 US-Dollar für eine Familie.
An einem Wendehammer werden sie mit ihren Habseligkeiten herausgelassen. Von dort sind es nur noch ein paar Meter bis zur Grenze, die ein kleiner weißer Pfahl markiert. Kanadische Polizisten nehmen die Menschen in Empfang.
Ein junger Mann mit einem Rollkoffer will nicht stehenbleiben und gleich über die Grenze laufen. Kurze Zeit sieht es so aus, als könnte die Lage eskalieren. Dann bleibt er doch auf der US-Seite stehen. "Es ist illegal, von hier aus Kanada zu betreten", sagt der Grenzpolizist. "Wenn sie es tun, muss ich sie festnehmen."
Arbeit bereits nach wenigen Monaten möglich
Ravensbergen von Bridges not Borders steht fast jeden Tag hier auf der kanadischen Seite der Roxham Road. Zusammen mit anderen Freiwilligen will sie den Neuankömmlingen beistehen. An kalten Tagen verteilen sie Handschuhe, Mützen und Schals an die Migranten, von denen manche hier zum ersten Mal Schnee sehen. Und sie gibt ihnen Ratschläge, so wie heute: "Ihr müsst tun, was sie sagen. Hört zu. Haltet euch an die Regeln, dann passiert euch nichts. Drängelt nicht, beruhigt euch. Hört zu und antwortet."
Ob die Menschen sie wirklich verstanden haben, ist unklar. Die meisten nicken aber dankbar. Für sie ist der Grenzübertritt der Beginn eines neuen Lebens. In Kanada haben sie die Aussicht, bereits nach wenigen Monaten arbeiten zu können. Bis dahin bekommen sie Unterstützung vom Staat und Zugang zu kostenloser medizinischer Versorgung.
New York spendiert Bustickets an die Grenze
Das ist weit mehr als in den USA, wo auch die Bearbeitung der Asylanträge deutlicher länger dauert, sagt die Anwältin Stéphanie Valois, die in Montreal viele Migranten dabei unterstützt: "Die meisten meiner Klienten wollen schnell eine Entscheidung haben, damit sie ihre Familienmitglieder nachholen können. Viele Antragsteller sind auch vorher in den USA inhaftiert worden. Davor haben sie Angst. Sie wollen nicht eingesperrt werden."
In Kanada werden sie nach Feststellung der Personalien freigelassen und wohnen für einige Wochen in Flüchtlingsunterkünften. In den USA ist man froh, so zumindest einen Teil der Migranten, die zu Millionen aus dem Süden kommen, in Richtung Norden wieder loszuwerden.
Die Stadt New York spendiert sogar Tickets für den Greyhound-Bus an die Grenze. Doch auch in Kanada, vor allem in Quebec, droht die Stimmung langsam zu kippen. Vor allem rechte Parteien fordern, die Roxham Road ganz zu schließen.
Abkommen mit USA soll neu verhandelt werden
Der kanadische Premierminister Justin Trudeau lehnt das ab: "Könnte man Barrikaden errichten und eine große Mauer bauen an der Roxham Road? Ja, das könnte man. Das Problem ist nur: Wir haben eine 6000 Kilometer lange Grenze zu den USA. Die einzige Möglichkeit, die irreguläre Einwanderung effektiv zu unterbinden ist, das Safe Third Country Agreement mit den USA neu zu verhandeln. Und das tun wir als Regierung im Augenblick."
Das 2004 zwischen Kanada und den USA abgeschlossene Abkommen sieht vor, dass das Land, in dem die Migranten zuerst ankommen, für das Asylverfahren zuständig ist. In aller Regel also die USA. Deshalb müssen die Menschen an legalen Grenzübergängen nach Kanada abgewiesen werden - und es auf illegalem Weg versuchen, vor allem über die Roxham Road.
Weshalb auch Aktivistin Ravensbergen die Abschaffung des Abkommens fordert: "Dann könnten die Migranten über alle regulären Grenzübergänge im ganzen Land einreisen. Das würde auch die Probleme lösen, die wir gerade in Quebec haben: 98 Prozent der Asylsuchenden kommen auf dem Landweg über die Roxham Road. Wenn man das auf ganz Kanada verteilen würde, dann könnte man die Migranten auch im ganzen Land versorgen. Wohnungen, Unterstützung, Jobs: Im Augenblick ist alles auf Quebec fokussiert." Roxham Road mache in so vielen Bereichen einfach keinen Sinn.