Forscher der Universität Marburg
faktenfinder

Corona-Impfungen Gerüchte und irreführende Behauptungen

Stand: 09.12.2020 12:05 Uhr

In Rekordzeit sind gleich mehrere Impfstoffe gegen das Sars-Cov2-Virus entwickelt worden. Noch schneller verbreiteten sich die Bedenken und Gerüchte dazu. Viele sind falsch oder lassen sich nicht belegen.

Sind die Impfstoffe ausreichend auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen getestet?

Impfstoffe werden üblicherweise in drei Phasen getestet: In der ersten Phase wird die Verträglichkeit an einer kleinen zweistelligen Zahl von Personen getestet. In der zweiten Testphase wird überprüft, ob die gewünschte Immunreaktion eintritt. In der dritten Phase wird festgestellt, ob der Impfstoff gegen eine Infektion hilft.

Normalerweise laufen diese Phasen nacheinander ab - bei der Entwicklung des Impfstoffs gegen das Sars-Cov2-Virus werden diese jedoch teilweise auch parallel durchgeführt. Zudem hat die Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) für einige Impfstoffkandidaten das "Rolling-Review"-Verfahren zugelassen. Dabei wird mit der Bewertung der klinischen Ergebnisse bereits begonnen, bevor alle erforderlichen Daten für einen Zulassungsantrag erhoben sind. Laut der EMA sollen dabei die Anforderungen an Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit unverändert hoch bleiben.

Kritiker bemängeln, dass durch die Verkürzungen der Test- und Zulassungsphasen, die sonst mehrere Jahre andauern, Aussagen über mögliche Spät- und Langzeitfolgen erschwert werden. Das EMA hat jedoch die Möglichkeit, eine bedingte Zulassung für zunächst ein Jahr zu erteilen, "wenn der Nutzen einer sofortigen Verfügbarkeit das Risiko, das von weniger als normalerweise erforderlichen Daten ausgeht, überwiegt." Fehlende Daten, etwa zur Langzeitwirksamkeit, müssen nachgereicht werden.

Verändert der Impfstoff das Genom des Geimpften?

Gegen das Sars-Cov2-Virus werden auch genbasierte Impfstoffe entwickelt. RNA-Impfstoffe bestehen meist aus sogenannter Messenger-RNA (mRNA) die eine Art Bauanleitung für Antigene enthält. Gelangt dieser Bauplan in eine menschliche Zelle, produziert diese die Proteine, was die gewünschte Abwehrreaktion des Körpers auslöst.

Während bei DNA-Impfstoffen das DNA-Molekül zunächst in den Zellkern gelangen muss, ist das bei RNA-Impfungen nicht der Fall. Daher besteht auch nicht die theoretische Gefahr, dass diese in das Erbgut von Körperzellen integriert wird. Aktuell ist kein DNA-Impfstoff gegen das Sars-Cov2-Virus in der dritten Testphase.

Gen-Impfstoffe wirken zudem nur auf einige wenige Zellen im Körper ein, nicht auf das Erbgut des Geimpften. Zudem vermehrt sich die Anzahl dieser Körperzellen nicht. Prinzipiell kann RNA in DNA umgeschrieben werden, zum Beispiel durch RNA-Viren, die ihre Erbinformation ins menschliche Genom integrieren können. Die nutzen hierfür das Verfahren der Reversen Transkriptase. Dieses erfordert jedoch, dass auf der zu integrierenden mRNA spezielle Erkennungssequenzen vorhanden sind, die es bei der Impf-mRNA nicht gibt. Diese wird zudem nicht im Zellkern übersetzt, wo sich die menschliche DNA befindet, sondern im umgebenden Zytosol. Die Behauptung, dass DNA- oder RNA-Impfungen das Erbgut eines Menschen, also seine Keimbahn verändern, ist daher falsch.

Können die Impfungen Autoimmunkrankheiten und Krebs auslösen?

Bei DNA-Impfstoffen besteht theoretisch die Möglichkeit, dass die in die Zelle verbrachte DNA in das eigentliche Erbgut der Wirtszelle eingebracht wird. Als mögliche Folgen werden eine verstärkte Tumorbildung oder Autoimmunreaktionen befürchtet. Allerdings befindet sich wie gesagt aktuell kein DNA-Impfstoff in der dritten Testphase.

Bei Autoimmunreaktionen greift das Immunsystem körpereigene Strukturen an, die fälschlicherweise als Fremdkörper identifiziert werden. Dafür müssen aber Impfstoffbestandteile und körpereigene Substanzen ähnliche molekulare Struktur haben. Diese - extrem seltenen - Autoimmunreaktionen gibt es jedoch auch bei anderen Impfformen und bei Virusinfektionen.

Gefährden oder verhindern die Impfstoffe Schwangerschaften?

Probanden von Genimpfstoffstudien müssen erklären, dass sie nicht schwanger sind und sich verpflichten, dass sie in der Testphase verhüten. Allerdings sind solche Vorbedingungen aus ethischen Gründen bei vielen Impfstoff- und auch anderen Arzneimittelstudien üblich. Trotzdem hat dieses Vorgehen das Gerücht genährt, dass die Impfstoffe die Schwangerschaft beeinflussen, das Erbgut des Kindes verändern oder gar Unfruchtbarkeit auslösen könnten.

mRNA-Impfstoffe wirken nur auf wenige Körper- beziehungsweise Muskelzellen im Bereich der Einstichstelle ein. Auch bei diesen bleibt die DNA intakt. Eine Veränderung der Eizellen oder Spermien findet somit nicht statt.

Die Behauptung, mRNA-Impfstoffe könnten Frauen dauerhaft unfruchtbar machen, ist ebenfalls nicht stichhaltig. Laut einer These würden die in den Spikes des Virus' enthaltene und durch die Zellen nach Gabe des mRNA-Impfstoff reproduzierten Proteine denen gleichen, die für das Einnisten der Eizelle in die Plazenta notwendig sind. Die daraufhin gebildeten Antikörper würden somit auch die Eizellen-Proteine angreifen und so eine Schwangerschaft verhindern.

Lennart Randau, Professor für Mikrobiologie an der Universität Marburg und Leiter der Studiengruppe RNA-Biochemie der Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie, hält die These für abstrus: Dafür sei das Spike-Protein viel zu spezifisch für das Sars-Cov2-Virus. "Es ist das Strukturprotein mit der höchsten Divergenz und wurde unter anderem zur Minimierung der Kreuzreaktionen mit anderen Erkältungs- oder Durchfall-Coronaviren gewählt." Kreuzreaktionen mit Eizellenproteinen und auch theoretisch folgernd eine Unfruchtbarkeit nach einer überstandenen Infektion seien ihm nicht bekannt und auch nicht zu erwarten, erklärte er gegenüber dem ARD-faktenfinder.

Wird es eine direkte oder indirekte Impfplicht geben?

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Gesundheitsminister Spahn und Kanzleramtsminister Helge Braun haben mehrfach versichert, dass es keine allgemeine Impfpflicht geben wird. Verpflichtende Impfungen für bestimmte Personengruppen sind jedoch nach Paragraf 20, Absatz 6 des Infektionsschutzgesetzes möglich:

Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist. Personen, die auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht an Schutzimpfungen oder an anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilnehmen können, können durch Rechtsverordnung nach Satz 1 nicht zu einer Teilnahme an Schutzimpfungen oder an anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe verpflichtet werden. § 15 Abs. 2 gilt entsprechend.

Dies muss jedoch genau begründet und auch vom Bundesrat genehmigt werden.

Zudem gibt es Befürchtungen, dass es dadurch eine Art indirekte Impfpflicht geben wird, dass Menschen ohne Impf- oder Immunitätsnachweis von bestimmten Orten, Besuchen, Tätigkeiten oder Reisen ausgeschlossen werden. So will die australische Fluggesellschaft Qantas zumindest auf Interkontinentalflügen eine Impfpflicht für ihre Passagiere einführen. Mehrere Länder erwägen, Einreisen ohne nachgewiesene Impfungen zu untersagen.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht warnt davor, Bürgerinnen und Bürgern ohne Impfschutz Nachteile im gesellschaftlichen Leben anzudrohen. Es handele sich "nicht nur eine rechtliche, sondern vor allem auch eine ethische Frage, die wir sehr gründlich abwägen müssen", sagte sie der "Augsburger Allgemeinen".

Enthalten die Impfseren gefährliche Hilfsstoffe?

Viele, aber nicht alle Impfseren enthalten Hilfsstoffe, sogenannt Adjuvantien. Diese aktivieren durch Reizung das Immunsystem weiter und verstärken die Immunantwort auf den eigentlichen Impfstoff, sodass dieser in einer geringeren Dosis eingesetzt werden kann. Typische Adjuvantien sind Aluminiumhydroxid und bestimmte Fett-Wasser-Emulsionen. Ein Teil der Nebenwirkungen wird den Hilfsstoffen zugeschrieben, sie sind jedoch meist milderer Natur.

Adjuvantien sind selbst keine Arzneimittel, werden aber in Kombination mit dem jeweiligen Impfstoff getestet und zugelassen. Viele sind seit Jahren im Einsatz. Aktuell werden neue Hilfsstoffe entwickelt, unter anderem auch, um weniger abhängig von Präparaten zu sein, die aus gefährdeten Fischarten gewonnen werden. Ob und gegebenenfalls welche Adjuvantien zugesetzt werden, muss bei jeden Impfstoff angegeben werden.