Seehofers Flüchtlingspolitik Erfolg oder Symbolpolitik?
Aus seiner Sicht hat Innenminister Seehofer in der Migrationspolitik viel erreicht. Experten zweifeln an der Wirksamkeit der verabschiedeten Gesetze. Von Symbolpolitik ist die Rede.
Horst Seehofer steckt nicht in jedem Detail. Ihm geht es darum, die großen politischen Leitlinien vorzugeben und dann, wenn sich die Chance gibt, Initiative zu zeigen.
Zu diesen Mega-Aufgaben zählt für Seehofer die EU-Flüchtlingspolitik. Kaum war das Linksbündnis von Alexis Tsipras in Griechenland abgewählt, erkannte er seine Chance, reiste nach Griechenland und in die Türkei.
Vordergründig ging es darum, mit der neuen griechischen Regierung unter dem Konservativen Kyriakos Mitsotakis die zum Teil katastrophale Situation für die Flüchtlinge auf den griechischen Inseln zu verbessern. Dahinter steht aber der Plan, das EU-Türkei-Abkommen endlich so umzusetzen, wie es einst geplant war.
Schlüsselwort: Migrationsdiplomatie
"Dreieinhalb Jahre nach diesem Abkommen steht das griechische Asylsystem vor dem Zusammenbruch", ärgert sich Gerald Knaus von der Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative. Das Problem: Bislang ist es der EU nicht gelungen zu entscheiden, wer in die Türkei zurückgeschickt werden soll und wer in Europa bleiben darf. "Stattdessen sitzen Leute unter unwürdigen Bedingungen in Griechenland fest." Eine Schande für Europa sei das, so Knaus.
Das Schlüsselwort lautet Migrationsdiplomatie. Und ausgerechnet Seehofer fühlt sich dazu berufen. Also genau der Horst Seehofer, der in seiner Laufbahn schon des Öfteren durch die ein oder andere undiplomatische Aussage aufgefallen war, etwa als er im Zusammenhang mit Merkels Flüchtlingspolitik von der "Herrschaft des Unrechts" gesprochen hatte.
"Es war extrem wichtig, dass der Innenminister dort war", lobt ihn Knaus. "Wenn es Deutschland mit Griechenland und anderen Partnern gelingen sollte, das EU-Türkei-Abkommen im Einklang mit unseren Werten und Gesetzen umzusetzen, dann wäre das einer der ganz großen Durchbrüche - nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa." Hier könnte Seehofer eine entscheidende Rolle spielen. Könnte. Seehofer hat sich viel vorgenommen.
Seehofer kann tun, was er für richtig hält
Seehofer hat einen Vorteil: Es ist seine letzte Amtsperiode. Er kann tun, was er für richtig hält, muss niemandem mehr gefallen. Schon gar nicht der eigenen Unionsfraktion im Deutschen Bundestag.
Als ihn die Fraktionskollegen kritisierten wegen seiner Ankündigung, Deutschland werde künftig ein Viertel der in Seenot Geretteten aufnehmen, lud er spontan zu einer Pressekonferenz, die sich gewaschen hatte.
"Es ist unglaublich, dass man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen muss", sagte Seehofer. Damit erntete er plötzlich ungewöhnlich viel Zustimmung von links und ließ etwa Parteifreundin Andrea Lindholz, immerhin die Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, ganz schön alt aussehen.
"Geordnete-Rückkehr-Gesetz"
Aus seiner Sicht kann Seehofer nach der Hälfte der Regierungszeit auf Erfolge verweisen. So ist aus seiner Ankündigung, Ausreisepflichtige konsequenter abschieben zu wollen, das Gesetz zur sogenannten "Geordneten Rückkehr" geworden.
Damit erhöht er den Druck auf Schutzsuchende, bei der Identitätsfeststellung mitzuwirken, massiv. Ausreisepflichtige, die in Abschiebegewahrsam untergebracht werden sollen, können im äußersten Fall nun im gleichen Gebäude wie Strafgefangene untergebracht werden - wenn auch räumlich getrennt von ihnen.
Und für diejenigen, die bereits in einem anderen EU-Land Schutz zugesprochen bekommen haben, hat Seehofer die Sozialleistungen schlicht und ergreifend komplett gestrichen.
Es fehlen Abkommen mit Herkunftsländern
"Symbolpolitik", nennt das Knaus, der nicht glaubt, dass diese Regelungen Grundsätzliches verändern. Was Knaus vermisst: Weitere Abkommen mit Herkunftsländern - etwa in Westafrika.
Die Kooperation etwa mit diesen Staaten sei für die Beschaffung von Pässen oder für Landeerlaubnisse zwingende Voraussetzung dafür, dass Rückführungen auch umgesetzt werden könnten. "Derzeit gelingt es keinem Land in Europa etwa nach Westafrika irgendeine nennenswerte Zahl von Ausreisepflichtigen zurückzubringen, weil die Länder dort politisch unter so einem großen Druck ihrer Bevölkerung stehen, Abschiebungen nicht zuzulassen", erklärt Knaus, der selbst mit westafrikanischen Ländern um Lösungen ringt.
Überhaupt wird in der Regierung unterm Strich mehr über Abschiebungen geredet als über die Frage, wie sich Zugewanderte eigentlich bei uns integrieren sollen. Seehofers Ministerium verweist dabei auf Sprachunterricht und Wertevermittlung in Orientierungskursen, auf Kinderbetreuung während des Unterrichts oder auch auf die Erprobung von sozialer Betreuung bei der Bewältigung von Kriegstraumata.
"Wildwuchs an Projekten"
Für Integrations-Experte Ahmad Mansour ein "Wildwuchs an Projekten". Teilweise seien sie gut, teilweise schlecht. Häufig gelte in Deutschland die Formel "Sprache plus Arbeit minus Kriminalität", dann werde es schon irgendwie klappen.
Dass dabei viele Aspekte zu kurz kommen, ist vielen hierzulande nicht klar: Gleichberechtigung, sexuelle Selbstentfaltung, freie Meinungsäußerung, Religionsfreiheit und Antisemitimus - das seien die Themen, mit denen viele Migranten haderten und die viel zu wenig angesprochen würden.
Bei aller Kritik im Detail gibt es unterm Strich aber auch viel Lob für die Flüchtlingspolitik Seehofers und der Bundesregierung. "Um fair zu sein", so formuliert es Gerald Knaus, "hat Deutschland im Vergleich zu anderen Demokratien Enormes geleistet."