Flugblatt-Affäre Knobloch lehnt Aiwangers Entschuldigung ab
Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, Knobloch, hat die Entschuldigung Aiwangers in der Flugblatt-Affäre nicht angenommen. Dass Ministerpräsident Söder an ihm festhält, hält sie für richtig - im Gegensatz zu vielen in der Bundespolitik.
Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden und heutige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, hat eine Entschuldigung Hubert Aiwangers abgelehnt. Der Freie-Wähler-Vorsitzende habe sich bei ihr gemeldet, sagte sie im Deutschlandfunk. "Ich habe ihm meine Meinung zu ihm, zu seiner Person ganz klar erklärt. Ich habe die Entschuldigung nicht angenommen."
Es seien "entsetzliche Worte", die im Raum stünden, sagte Knobloch zu den Vorwürfen rund um ein antisemitisches Flugblatt aus Aiwangers Schulzeit. "Dass das einer Katastrophe gleicht für einen Menschen, der so viel Verantwortung hat wie ein Vizepräsident eines Bundeslandes. Das ist normalerweise nicht zu akzeptieren."
Knobloch sagte aber auch, dass sie die Entscheidung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Aiwanger im Amt zu belassen, akzeptiere. Söder habe politisch entschieden - insofern stehe sie hinter dem Ministerpräsidenten. Aiwanger hätte eine Entlassung im Wahlkampf ausgenützt und hätte damit wohl auch Erfolg gehabt, so Knobloch. "Und das wäre die noch größere Katastrophe gewesen." Mit Blick auf die Gegenwart und die Zukunft habe Söder richtig entschieden. "Aiwanger ist Aiwanger, und wir werden ihn nicht erziehen, und wir werden ihn auch nicht verändern."
Schuster: Festhalten an Aiwanger nachvollziehbar
Ähnlich äußerte sich der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. Er bezeichnete Söders Festhalten an Aiwanger als insgesamt nachvollziehbar. "In der Gesamtbetrachtung ist die Entscheidung des Ministerpräsidenten für mich nachvollziehbar", sagte Schuster laut Mitteilung.
Der Umgang Aiwangers mit den Vorwürfen bleibe allerdings irritierend. "Immer wieder betonte er eine politische Kampagne gegen ihn als Person und konnte sich erst spät zu einer Entschuldigung durchringen." Er vermisse bei Aiwanger bisher "eine wirkliche innere Auseinandersetzung mit den Vorwürfen und seinem Verhalten zur Schulzeit".
Historiker: Aiwanger "hat nichts gelernt"
Der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, Wolfgang Benz, kritisierte Söders Vorgehen dagegen als "verheerend". "Es bestürzt mich als Bürger, wie wenig sich Aufklärung durchsetzt", sagte der Historiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Söders Entscheidung ist schwierig bis verheerend. Ob das eine Zäsur ist, werden wir nach der Landtagswahl wissen."
Benz vermutet allerdings, dass Aiwanger eher Stimmen gewinnen als verlieren werde. Er fügte hinzu: "Dieses antisemitische Flugblatt und die offensichtlich rechtsextremistischen Aktivitäten Aiwangers würde ich als Jugendsünden abtun, wenn er sich gleich klar dazu geäußert und seiner Scham Ausdruck verliehen hätte. Doch er hat nichts gelernt und schiebt unter Druck seinen Bruder vor." Aus Sicht des Wissenschaftlers hat sich der Chef der Freien Wähler auch durch seine öffentlichen Auftritte wie zuletzt in Erding in die Nähe von Querdenkern gebracht. "Das ist zusammen genommen ein so starkes Stück, dass ich Aiwanger nicht mehr an der richtigen Stelle sehe."
Sinti und Roma kritisieren Aiwanger
Auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma kritisierte Aiwanger scharf. Seine Entschuldigung im Umgang mit einem antisemitischen Flugblatt sei nicht ernst gemeint, erklärte der Zentralrat in Heidelberg. Stattdessen stelle sich Aiwanger als Opfer einer Kampagne dar; dies sei inakzeptabel und zynisch. Eine weitere Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen sei zu befürchten.
Der Zentralrats-Vorsitzende Romani Rose sprach von einer gesellschaftspolitischen Klimaveränderung. Deren Ziel sei eine Stärkung von Rechtsextremismus und Nationalismus. Alle demokratischen Kräfte müssten einer Verharmlosung der NS-Verbrechen entgegentreten.
Esken: "Ein fatales Signal"
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken ist offenbar gleicher Ansicht: "Die Entscheidung von Markus Söder ist in meinen Augen ein großer Fehler und sie ist ein fatales Signal", sagte Esken der "Rheinischen Post".
Söders Entscheidung sei Wasser auf die Mühlen derjenigen, die die NS-Zeit, Antisemitismus und Rassismus verharmlosten. "Eine solche Haltung darf keinen Platz in unserer Gesellschaft und erst recht nicht auf einer Regierungsbank finden", forderte die SPD-Chefin. Vor allem Aiwangers heutiger Umgang mit der Affäre "zeigt für mich ganz klar, dass er ungeeignet ist, Verantwortung in einer Regierung zu übernehmen".
Haßelmann: Söder hat sich "für Taktik statt Haltung entschieden"
Die Bundestagsfraktionschefin der Grünen, Britta Haßelmann, schrieb auf der Internet-Plattform X, ehemals Twitter: "Markus Soeder hat sich mit seiner Entscheidung zu Aiwanger für Taktik statt Haltung entschieden."
Hofreiter: Fatales Signal in schwierigen Zeiten
Der bayerische Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter sagte im Inforadio rbb24, Söder habe sich bei zentralen Fragen wie Antisemitismus und Umgang mit der demokratischen Kultur "als hemmungsloser Opportunist und reiner Machtzyniker erwiesen". Das sei das ein fatales Signal in schwierigen Zeiten.
Aiwangers Entschuldigung sei halbherzig gewesen, so Hofreiter: "Stattdessen macht er eine rechtspopulistische Kampagne daraus. Sogar zum Teil in der Wortwahl eines der bekanntesten Rechtspopulisten der Welt - nämlich mit 'Hexenjagd' - das ist die Wortwahl von Herrn Trump, wenn es um berechtigte Fragen geht."
Freier-Wähler-Fraktionschef verteidigt Aiwanger
Aiwanger, der am Sonntag bei einem Auftritt in einem Bierzelt von einer "Schmutzkampagne" gesprochen hatte, wird vom Fraktionschef der Freien Wähler im bayerischen Landtag, Florian Streibl, verteidigt. Wenn man mit solchen Vorwürfen überzogen werde, sei das eine "wahnsinnige Belastung für einen Menschen", sagte er im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.
Die Entscheidung von Söder, Aiwanger im Amt zu belassen, hält Streibl für notwendig. "Alles andere wäre nach meiner Meinung nicht verhältnismäßig. Er hoffe, dass man jetzt wieder zur Tagesordnung übergehen könne, das Land habe andere Probleme als das, was vor 35 Jahren auf einer Schultoilette passiert ist, so Streibl.