Bundesgerichtshof Wie das Recht auf Vergessenwerden umgesetzt wird
Müssen Suchmaschinenbetreiber fragwürdige Artikel aus ihren Trefferlisten entfernen? Nur, wenn Betroffene nachweisen können, dass diese offensichtlich falsch sind, urteilt der BGH. Was folgt daraus?
Die Ausgangslage
Der Bundesgerichtshof hat darüber entschieden, wann Betroffene ein Recht darauf haben, dass Suchmaschinen wie Google Artikel über sie aus den Trefferlisten entfernt. Die Karlsruher Richter haben sich an einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) orientiert und entschieden, dass Suchmaschinen fragwürdige Artikel nur dann entfernen müssen, wenn die Betroffenen hinreichend nachweisen können, dass die Angaben offensichtlich falsch sind.
Um was für einen Fall ging es konkret?
Geklagt hatte ein Paar, das in der Finanzbranche arbeitet und Geldanlagen anbietet. Eine US-amerikanische Internetseite hatte kritisch über ihre Anlagemodelle berichtet. Das Ehepaar behauptet, die Internetseite sei unseriös. Die Seite würde immer wieder gezielt negative Berichte veröffentlichen, um die Betroffenen anschließend zu erpressen. Die falschen Behauptungen würden erst gelöscht, wenn die Betroffenen Geld zahlten.
Das Paar behauptet, ebenfalls erpresst worden zu sein. Es wollte erreichen, dass die kritischen Artikel nicht mehr als Treffer auftauchen, wenn man bei Google nach ihren Namen sucht. Google hatte sich bisher geweigert, die Einträge aus den Ergebnislisten zu löschen und hatte argumentiert, dass man nicht beurteilen könne, ob etwas an den Vorwürfen dran sei oder nicht. Deshalb sei man als Suchmaschinenbetreiber zu einer Löschung auch nicht verpflichtet.
Was hat der BGH entschieden?
Da es um die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) geht, hatte der Bundesgerichtshof den Fall dem Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg zur Prüfung vorgelegt. Der hatte im Dezember in einem Urteil Vorgaben gemacht, wie die Verordnung mit Blick auf den Fall auszulegen ist. Dies hat der BGH nun umgesetzt: Suchmaschinen wie Google müssen Einträge in Ergebnislisten löschen, wenn die Inhalte der Einträge nachweislich falsch sind.
Allerdings müssen die Suchmaschinen dies nicht selbst recherchieren. Die Nachweispflicht liegt bei demjenigen, der die Löschung durchsetzen will. Dafür muss ein Betroffener aber keine entsprechende gerichtliche Entscheidung vorlegen. Es reicht aus, wenn er Nachweise erbringt, die "vernünftigerweise verlangt werden können".
Im konkreten Fall hat der BGH die Klagen, was die Artikel betrifft, zurückgewiesen. So habe das Paar nicht nachgewiesen, dass die Inhalte in den Artikeln offensichtlich unrichtig sind.
Was gilt für Bilder?
Beim BGH ging es auch um Vorschaubilder, sogenannte Thumbnails. Hintergrund: Wenn man bei Google und anderen Suchmaschinen bestimmte Namen eingibt, tauchen in der Regel in der Ergebnisliste auch Fotos auf.
Dies war bei den Klägern ebenfalls so. So war der Anlageberater auf einem Bild bei einem Hubschrauberflug über New York zu sehen, seine Partnerin in einem Cabrio. Auch dagegen klagte das Paar. Ihre Begründung: Die Bilder würden sie in ein schlechtes Licht rücken und den falschen Eindruck erwecken, dass sie als Anlageberater im Luxus schwelgten und auf Kosten ihrer Kunden lebten.
Der BGH hat ihnen, was die Vorschaubilder betrifft, Recht gegeben, und bezüglich solcher Thumbnails strenge Vorgaben gemacht: Bei Vorschaubildern muss geprüft werden, ob es für die öffentliche Meinungsbildung wirklich notwendig ist, sie zu zeigen. Wenn solche Vorschaubilder wie im vorliegenden Fall ohne jeden Kontext, also ohne einen sachlichen Bezug im Rahmen der Google-Suche angezeigt werden, sei dies nicht gerechtfertigt.
Was folgt aus dem Urteil für Betroffene?
Nach der Rechtsprechung des EuGH und dem aktuellen Urteil des BGH müssen sich Betroffene nicht zuerst an denjenigen wenden, der aus ihrer Sicht falsche Informationen ins Netz gestellt hat. Sie können vielmehr sofort Suchmaschinen wie Google in die Pflicht nehmen.
Bei Google findet man entsprechende Online-Formulare, wenn man einen Löschungsantrag stellen möchte. Wenn man so nicht weiterkommt, kann man sich in einem nächsten Schritt an den Landesdatenschutzbeauftragten seines Bundeslands wenden, um sich dort Unterstützung zu holen. Wenn es im Streitfall auf diesem Weg ebenfalls keine Lösung gibt, muss man am Ende versuchen, den Löschungsanspruch gerichtlich durchzusetzen.
Welche Urteile gab es bisher zum Recht auf Vergessenwerden?
Der EuGH hatte bereits 2014 in einem wegweisenden Urteil entschieden, dass es ein Recht auf Vergessenwerden im Internet gibt, und Betroffene gegen Suchmaschinenbetreiber unter bestimmten Umständen einen Anspruch auf die Löschung personenbezogener Daten haben.
Im Mai 2018 trat dann die Datenschutzgrundverordnung in allen EU-Ländern in Kraft. Nach Artikel 17 DSGVO kann die betroffene Person verlangen, dass ihre persönlichen Daten im Internet gelöscht werden, wenn keine vorrangigen Gründe entgegenstehen. Das muss in jedem Einzelfall entschieden und im Zweifelsfall abgewogen werden.
2019 hatte der EuGH dies in einer Entscheidung konkretisiert. Bei der Abwägung muss geprüft werden, welchem Kriterium eine größere Bedeutung zukommt: dem Recht des Betroffenen auf die Entfernung seiner personenbezogenen Daten - oder dem Recht auf Meinungsfreiheit und dem Interesse der Öffentlichkeit an Information.
Aktenzeichen: VI ZR 476/18