Demos gegen Rechtsextremismus Linke Mitte mit hohen Bildungsabschlüssen
Wer geht gegen Rechtsextremismus auf die Straße und warum? Forscher der Universität Konstanz haben Demonstrationen in drei Städten genauer untersucht. Wähler von CDU und FDP waren unterrepräsentiert.
Deutschlandweit vom Norden bis in den Süden, von Hamburg, München, Stuttgart bis nach Konstanz gingen beinahe jedes Wochenende Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Meist haben breite Bündnisse aus Gewerkschaften, Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen, Verbänden oder auch Privatpersonen zu den Demonstrationen aufgerufen.
Auslöser war die Recherche des Netzwerks Correctiv im Januar über ein Treffen von AfD-Vertretern mit Neonazis und Unternehmern, bei dem über die massenhafte Ausweisung von Menschen mit Migrationsgeschichte gesprochen wurde. Doch wer genau sind die Menschen, die daraufhin für Demokratie und gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen sind? Was treibt sie an? Und wie stehen sie zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren?
Befragte per Zufallsverfahren ausgewählt
Forscher der Universität Konstanz haben das für die Bodenseeregion genauer untersucht und mehr als 500 Teilnehmende bei drei Demonstrationen in Konstanz, Singen und Radolfzell befragt.
Die Demonstrierenden seien nach einem aufwendigen Zufallsverfahren ausgewählt worden, erklärt Soziologe Sebastian Koos von der Universität Konstanz. So seien sie nach einem bestimmten Muster abgezählt und dann angesprochen worden.
Bei den Demonstrationen sei das ganze demokratische Spektrum vertreten gewesen, so Koos. Allerdings mit einer klaren Tendenz.
Wähler von CDU und FDP unterrepräsentiert
Das Ergebnis der Forscher: Die Mehrheit der befragten Teilnehmenden ordnen sich selbst politisch der linken Mitte zu, hat überdurchschnittlich hohe Bildungsabschlüsse und eine Parteipräferenz für die Grünen. Wähler und Wählerinnen der CDU und FDP sind hingegen mit einem Anteil von zusammen zehn Prozent unterrepräsentiert.
"Wählerinnen und Wähler von CDU und FDP bevorzugen häufig andere Formen der politischen Beteiligung", so Koos. Die niedrige Protestneigung dieser Wählergruppe zeigt sich auch in den Zahlen der Forscher: Von den befragten Wählerinnen und Wählern der CDU gaben 80 Prozent an, noch nie oder erst einmal in ihrem Leben auf einer Demonstration gewesen zu sein. Bei den Wählerinnen und Wählern der FDP waren es 62 Prozent.
Ein weiterer Grund, dass gerade die CDU und FDP-Wähler stark unterrepräsentiert sind: Aus Sicht eines Mitte-rechts-Publikums drohe die Grenze zwischen Rechtsextremismus und Konservatismus bei den Protesten bisweilen zu verschwimmen. Manche bürgerlichen Wähler könnten sich in die rechte Ecke gestellt fühlen.
Unklar, ob die Ergebnisse übertragbar sind
Auch die untere Mittelschicht ist unterrepräsentiert, zeigt die Befragung. Grund dafür seien strukturelle Hemmnisse, erklärt Sebastian Koos. "Unter strukturellen Hemmnissen verstehen wir beispielsweise Verpflichtungen, denen man im Alltag ausgesetzt ist. Also, dass ich unter der Woche nicht an einer Demonstration teilnehmen kann, weil ich arbeiten muss oder meine Kinder aus der Kita abholen muss." Gerade in der unteren Mittelschicht gebe es beispielsweise Schichtarbeit und weniger Flexibilität in der Arbeitseinteilung.
Inwieweit dieses Besucherspektrum der drei Städte Konstanz, Radolfzell und Singen auf ganz Deutschland übertragen werden kann, darüber haben die Forscher allerdings bisher keine Erkenntnisse.
Konstanz ist eine Studentenstadt, daher waren bei einer großen Demonstration mit mehr als 14.000 Teilnehmenden auch viele Studierende. Die Demo fand am Mittwochabend statt. "Studierende engagieren sich häufig und sind zeitlich auch flexibler", so Koos.
Viele haben bisher kaum Protesterfahrung
Was ihre Befragung ebenfalls zeigt: Viele der Teilnehmenden haben bisher keine oder kaum Protesterfahrung. Die meisten haben über das persönliche Umfeld von den Demonstrationen erfahren. Die Motivation, dann auch wirklich hinzugehen war vor allem die Correctiv-Recherche sowie die hohen Umfragewerte der AfD. Die Protestierenden sagten, sie wollen vor allem ein Zeichen setzen und Aufmerksamkeit erzeugen.
Allerdings sind nur weniger als ein Drittel für ein AfD-Verbot. Die Überlegung, einzelnen AfD-Politikern bestimmte Grundrechte zu entziehen, wird hingegen von annähernd zwei Dritteln der Befragten befürwortet.
Konzentration auf verbindendes Element
Inzwischen sind die Demonstrationen seltener und vor allem viel kleiner geworden. Bei den Reden auf den Bühnen geht es oft um die unterschiedlichsten Themen - von Reden gegen den Kapitalismus, die Politik einzelner Parteien wie CDU oder FDP, die kritisiert wird, oder auch die Situation in Israel. All das sind Themen, bei eher polarisieren als zusammenführen.
"Die Organisatoren und Organisatorinnen können ihren Teil dazu beitragen, indem sie das verbindende demokratische Element der Demonstrationen noch deutlicher herausstellen", so Koos. Dies sei auch vor dem Hintergrund der Frage wichtig, inwiefern es gelingen kann, das aktuelle Engagement in ein längerfristiges Projekt zu überführen.