Lauterbach zu Medikamentenknappheit Mit einem Fünf-Punkte-Plan gegen den Mangel
Viele Eltern haben ein Déjà-vu: Wieder Apotheken abklappern, um Fiebersaft zu bekommen? Gesundheitsminister Lauterbach warnt vor Hamsterkäufen und setzt auf einen Fünf-Punkte-Plan gegen den Medikamentenmangel.
Mit einem lauten, schrillen Alarm beginnt die Pressekonferenz von Gesundheitsminister Lauterbach. Es ist der bundesweite Warntag, im Raum klingeln viele Mobiltelefone. Ein Testalarm, um die Bevölkerung vor möglichen Katastrophen zu warnen. Doch beim Minister ist der Alarm noch nicht angekommen, witzelt er. Sein Handy bleibt erst mal stumm. Er hat sich in den vergangenen Tagen um ganz andere Alarme gekümmert: Apotheken, Kinder- und Jugendärzte warnen seit Wochen wieder lautstark. Sie fürchten, dass auch in diesem Jahr Fiebersäfte, Antibiotika oder Asthmamedikamente knapp werden.
Für so manche Eltern fühlt sich das an wie ein schlechtes Déjà-vu: Es wird kälter, die ersten Erkältungssymptome der Kinder kommen. Müssen sie schon wieder viele Apotheken abklappern, bis sie die richtigen Medikamente bekommen, das zweite Jahr in Folge?
Lauterbach will beruhigen
Davon geht der Minister nicht aus. Lauterbach lädt mal wieder in sein Ministerium ein, um zu erklären, dass er die Lage im Griff hat. Dabei schlüpft er in eine ungewohnte Rolle. Statt wie so häufig vor Problemen und Gefahren zu warnen, ist es diesmal der Gesundheitsminister selbst, der versucht zu beruhigen. Er werde alles tun, damit Kinder die nötigen Medikamente bekommen. Ein deutlicher Appell steht im Mittelpunkt des Fünf-Punkte-Plans, den er heute vorgelegt hat.
"Bitte keine Hamsterkäufe", betont Lauterbach immer wieder. Ein kleiner Hausvorrat sei immer sinnvoll, aber bitte nicht die Arzneien für Kinder horten, erklärt er den vielen Eltern, die Sorge vor dem Herbst haben.
In diesem Punkt bekommt er Unterstützung vom Apothekenverband. Eine kleine Flasche Fiebersaft zu Hause zu haben sei auf jeden Fall sinnvoll und verantwortungsbewusst. Aber bloß keine größeren Vorräte anlegen, wird der Minister nicht müde zu sagen. Obwohl die Lage doch so viel besser sei als die ganzen Warnmeldungen und Hiobsbotschaften. Hersteller würden rund um die Uhr produzieren. Großartig sei es, wie die Industrie reagiert habe. Man stehe besser da als im Jahr zuvor - wenn es keine Hamsterkäufe gäbe und nicht die große Krankheitswelle käme.
Mangel bei Medikamenten für Kinder
Der Verband der Kinderärzte warnt davor, dass man in Städten zwar noch teilweise gut versorgt sei, auf dem Land Eltern aber teilweise wieder viele Kilometer fahren müssten, um an die Kinderarzneien zu kommen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat bereits im August eine sogenannte Dringlichkeitsliste mit gut 30 Kinderpräparaten veröffentlicht, die mit höchster Priorität beschafft werden sollten. Darauf stehen mehrere Antibiotika, Zäpfchen, aber auch fiebersenkende und schmerzlindernde Säfte.
Lauterbach schätzt die Lage besser ein. An der Liste für dringliche Kinderarzneien orientiere man sich jetzt, verspricht er. Er will den Austausch dieser Medikamente verbessern, sucht pragmatische Lösungen. So sollen Apotheken auch Tropfen statt Tabletten anbieten können, ohne Rücksprache mit dem jeweiligen Arzt oder neuem Rezept. Das Gesetz hierfür muss aber erst noch auf den Weg gebracht werden. Zudem soll es aktuelle Situationsanalysen geben, einen regelmäßig tagenden Steuerungskreis, an dem Kinder- und Jugendärzte, die Industrie, Apotheker teilnehmen und immer aktuell über die Lage beraten und ihn informieren. Doch wird das ausreichen?
Gesetz mit Langfristwirkung
Im Juni hatte der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, damit in Zukunft die Medikamente in Deutschland nicht mehr knapp werden - weder für Erwachsene, noch für Kinder. Schon damals räumte der Minister ein, damit nicht alle Probleme sofort zu lösen.
Hersteller und der Großhandel müssen jetzt Vorräte anlegen. Vier Wochen müssen diese für Kindermedikamente eigentlich reichen. Die Realität sieht anders aus: Der pharmazeutische Großhandel sagt, dass die Vorräte für viele Medikamente, die im Herbst und Winter gebraucht werden, eher knapp sind. 85 Prozent dieser Medikamente würden gerade mal für zwei Wochen reichen - und eben nicht wie vorgesehen für vier Wochen. Auch die Preisregeln für Kindermedikamente wurden gelockert, die Preise einmalig um bis zu 50 Prozent erhöht.
Lauterbach will mehr Geld investieren und damit Firmen zurück nach Europa locken. Langfristig will sich der Gesundheitsminister mit dem Gesetz weniger von asiatischen Ländern abhängig machen. Die meisten Arzneimittel werden in China und Indien hergestellt.
Auch Probleme bei Erwachsenen-Versorgung
Es fehlen längst nicht nur Medikamente für Kinder. "Ich denke, wir können zwar etwas besser in den kommenden Winter gehen", sagt Nicola Bulinger-Göpfarth vom Verband der Hausärztinnen und Hausärzte. Sie wünscht sich aber weitere Lösungen, weil es auch Probleme bei der Versorgung von erwachsenen Patientinnen und Patienten gibt.
Bei rund 500 Arzneien gebe es dieses Jahr Lieferengpässe, warnt der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek. Vor gut einem Jahr habe es im gleichen Zeitraum Engpässe bei "nur" 300 Medikamenten gegeben. Auch der Apothekerverband Nordrhein schlägt Alarm: Täglich seien 1,5 Millionen Menschen von den Lieferengpässen betroffen. Manchmal stehe die Versorgung beispielsweise von Antibiotika auf der Kippe, erklärte der Verbandsvorsitzende Thomas Preis im ARD-Morgenmagazin.
Schnelle Lösungen in Sicht?
Lauterbach steckt in einer Zwickmühle: Zum einen will er die Pharmahersteller dazu bringen, mehr in Deutschland und Europa zu produzieren, um sich unabhängiger von internationalen Lieferketten zu machen. Zum anderen muss er gerade die ausländischen Unternehmen bei Laune halten, damit sie Deutschland auch kurzfristig ausreichend mit Medikamenten versorgen.
Keine stabilen Lieferketten
Diese Zwickmühle bekommen auch die Krankenkassen zu spüren. Wenn es um Antibiotika geht, sollen sie in Zukunft andere Verträge mit Medikamentenherstellern abschließen als bisher. So soll es nicht mehr nur einen Vertrag mit dem billigsten Anbieter, der oft in China oder Indien produziert, geben, sondern auch einen Vertrag mit einem Anbieter in Europa.
Aus Sicht der Krankenkassen reicht das nicht. Ein Kernproblem besteht demnach darin, dass es in der Pharmaindustrie keine stabilen Lieferketten mehr gibt. Außerdem gehen sie davon aus, dass die Preise für Kinder-Medikamente langfristig steigen werden. Bei den Kassen fehlen aber jetzt schon mehrere Milliarden. Eine Beitragserhöhung halten sie daher für nicht ausgeschlossen.
Beim Bundesgesundheitsminister dürften also trotz des im Juni verabschiedeten Gesetzes und des Fünf-Punkte-Plans von heute auch in den kommenden Monaten einige Alarmrufe eingehen.