Ausbau des Flusses Warum der Oder-Ausbau für Streit sorgt
Nach dem massiven Fischsterben in der Oder wird auf polnischer Seite nun weiter gebaggert. Die deutsche Umweltministerin fordert dagegen den Stopp des Oder-Ausbaus. Tina von Löhneysen und Anke Hahn über den deutsch-polnischen Streit.
Wenn man Frauke Bennett fragt, was sie an der Oder und der Auenlandschaft um sie herum liebt, holt sie erst einmal Luft. Man merkt, dass sie gar nicht weiß, wo sie anfangen soll. Sie orientiert sich an den Jahreszeiten: unendliche Blumenwiesen und brütende Vögel im Frühjahr, rastende Kraniche im Sommer und im Herbst überwinternde Singschwäne. "Es ist ein gutes Gefühl, an dem Fluss zu stehen und zu sehen, wie stark die Kräfte der Natur sein dürfen." Das gelte das gesamte Jahr über. Bennett organisiert Kanutouren auf der Oder. Sie lebt vom Fluss und - das wird schnell klar - auch mit dem Fluss.
Doch leider gebe es zwei unterschiedliche Auffassungen, wie die Zukunft gestaltet werden soll, sagt Bennett mit Blick auf den Streit um den Oder-Ausbau.
Es wird gebaggert
Auf polnischer Seite in Slubice und Gozdowice arbeiten seit Februar die Bagger, es werden Steine zu Buhnen aufgeschüttet, Schlick beräumt. Und das soll auch im nächsten Jahr so weiter gehen, kündigt die staatliche Behörde "Wody Polskie", also "Polnische Gewässer" an. Denn man führe genau das aus, was mit Deutschland im Vertrag von 2015 vereinbart worden sei, sagt Wojciech Skowryski, der stellvertretende Leiter der Behörde. Das Konzept dafür sei übrigens von der Bundesanstalt für Wasserbau in Karlsruhe unter Beteiligung polnischer Experten erstellt worden. Deshalb verstehe man die derzeitige Diskussion in Deutschland überhaupt nicht.
Skowryski wehrt sich entschieden gegen die Vorwürfe der deutschen Umweltschutzverbände, die Oder würde durch die Arbeiten vertieft, um die Flussschiffahrt zu fördern. "Das stimmt nicht, man darf den Fluss nicht vertiefen", sagt er. "Wir betonieren nicht, wir begradigen den Fluss nicht, wir vertiefen die Fahrrinne nicht." Es gehe vielmehr um die Sanierung und Wiederherstellung bereits vorhandener Regulierungsbauwerke. Und das vor allem zum Schutz vor Hochwasser.
Auf der Oder am Hafen von Kienitz protestieren Menschen in Kanus gegen den Ausbau des Flusses Oder.
Ein "sterbenskranker Fluss"
Das stimme so nicht, entgegnen Umweltschützer. Durch die Erneuerung der Buhnen, also der Regulierungsbauwerke, werde der Fluss verengt. Dadurch erhöhe sich die Fließgeschwindigkeit, Sand werde mitgeschleppt, der sich zwischen den Buhnen ablagert, gleichzeitig vertiefe sich der Fluss. Dadurch sinke der Grundwasserspiegel, die Auenlandschaft sei in Gefahr und damit die ganze Naturregion.
"Nach der Umweltkatastrophe haben wir einen sterbenskranken Fluss. Wäre die Oder eine Patientin, würde man auf keinen Fall einen so großen Eingriff vornehmen, wie die geplanten Baumaßnahmen", sagt Sascha Maier, der beim BUND Referent für Gewässerpolitik ist. Maier kann stundenlang über Maßnahmen, Bauprojekt und Wasserstraßen reden, aber eben auch über den Schutz der Gewässer. Man spürt, wie sehr ihm die Oder am Herzen liegt. Gemeinsam mit anderen Umweltverbänden hat der BUND Klage in Warschau eingereicht. Sie wollen den sofortigen Stopp und die grundsätzliche Überprüfung des gesamten Projekts erwirken. Neben der neuen Ausganglage nach dem Fischsterben ist das zweite Argument: Die Prüfung der Umweltverträglichkeit sei in Polen nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden.
Wirklich nur Hochwasserschutz?
Auch in Polen gibt es Zweifel an der offiziellen Darstellung. Der WWF Polen hegt den Verdacht, es könnte unbemerkt von der Öffentlichkeit mehr reguliert werden, als für den reinen Schutz vor Hochwasser nötig sei. Nutznießer dieser Arbeiten sei dann die Binnenschifffahrt. Doch die Schäden würden alle treffen. Katarzyna Czupryniak, die beim WWF für Wasserschutz zuständig ist, betont: "Die Regulierung der Oder war einer der Schlüsselfaktoren, die für die Katastrophe an der Oder verantwortlich waren."
Krzysztof Cibor von Greenpeace Polen fordert auch deshalb den Verzicht auf den Ausbau der Oder. Stattdessen sei eine konsequente Renaturierung und die Schaffung eines Nationalparks notwendig, um weitere Eingriffe in den Fluss in Zukunft zu verhindern.
Klage wird vorbereitet
Rückendeckung bekommen die deutschen und polnischen Umweltverbände, die eng zusammenarbeiten, vom Umweltministerium des Landes Brandenburg. Hier bereitet man ebenfalls eine Klage vor, die in den kommenden Wochen beim Verwaltungsgericht in Warschau eingereicht werden soll. Die deutsche Bundesumweltministerin Steffi Lemke meint: "Ausbaumaßnahmen an der Oder stehen einer erfolgreichen Regeneration entgegen. Daher suche ich den Austausch mit meiner polnischen Kollegin, um für dieses Verständnis zu werben und um gemeinsame nächste Schritte zu vereinbaren."
Das FDP-geführte Bundesverkehrsministerium ist da wesentlich zurückhaltender. Ein Sprecher verweist darauf, dass das Abkommen aus deutscher Sicht "maßvolle Instandsetzungsmaßnahmen vorhandener Buhnen, die die Oder als Verkehrsweg betreffen und der Gewährleistung des Eisaufbruchs dienen" enthalte. Aber man sehe sich auch in der Verantwortung für das Gewässerökosystem.
Die Strategische Umweltprüfung durch die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes läuft. Sascha Maier vom BUND erwartet ein Ergebnis erst in gut einem Jahr, bis dahin werde nichts passieren. Doch schon die "maßvollen Instandsetzungsmaßnahmen" seien für die Oder schädlich, sagt er.
Auch Kanuführerin Frauke Bennett fordert ein Umdenken. In den vergangenen 200 Jahren habe man die Flüsse den Schiffen angepasst, jetzt sei es höchste Zeit, das zu ändern und die Schiffe den Flüssen anzupassen.