Folgen für Politik und Wirtschaft Was das Ampel-Aus bedeutet
Die Ampelkoalition ist am Ende - unter dramatischen Umständen. Bundeskanzler Scholz schmeißt Finanzminister Lindner raus. Was sind die politischen und wirtschaftlichen Folgen? Ein Überblick.
Die zerstrittene Ampelkoalition ist am Ende. Nach einem dramatischen Treffen der Koalitionsspitzen entlässt Kanzler Olaf Scholz (SPD) Finanzminister Christian Lindner (FDP). Hintergrund ist ein erbitterter Streit um die Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Im März soll es nun zu einer vorgezogenen Neuwahl kommen.
Scholz rechnete am Abend in fast beispielloser Art mit Lindner ab. Es gebe keine Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit. Er habe Angebote für ein Paket gemacht, um den Standort zu stärken und den Haushalt 2025 zu beschließen. Lindner habe die Vorschläge abgelehnt. Er handle verantwortungslos, verfolge egoistische Ziele und habe nur die FDP-Klientel im Blick.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr kündigte an, dass sich alle FDP-Minister aus der Bundesregierung zurückziehen werden. Damit beendet die FDP das Dreierbündnis der Ampelkoalition. Am Morgen meldete sich jedoch Verkehrsminister Volker Wissing zu Wort und verkündete: Er wolle sein Ministeramt behalten und werde aus der FDP austreten.
Wie geht es weiter?
Scholz will wichtige Gesetze, die aus seiner Sicht keinen Aufschub dulden, noch bis zum Jahresende zur Abstimmung im Bundestag stelle. Er nannte etwa den Abbau der sogenannten kalten Progression, damit die Bürger mehr Netto vom Brutto hätten, die Stabilisierung der Rente sowie Sofortmaßnahmen für die Industrie. Er werde dazu das Gespräch mit CDU-Chef Friedrich Merz suchen.
Am 15. Januar will Scholz im Bundestag die Vertrauensfrage stellen - in der Erwartung, dass das Parlament ihm gerade nicht das Vertrauen ausspricht, er also keine Mehrheit bekommt. In diesem Fall kann der Kanzler den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Scholz sagte, der Bundestag könne den Weg für eine vorgezogene Neuwahl freimachen. Diese könnte spätestens Ende März stattfinden. Anders sieht das CDU-Chef Merz: Er forderte Scholz auf, die Vertrauensfrage sofort zu stellen - spätestens Anfang nächster Woche. Der Bundespräsident könne dann den Bundestag innerhalb einer Frist von 21 Tagen auflösen. Man habe in diesen 21 Tagen genug Zeit, noch herauszufinden, ob es Themen gebe, die man gemeinsam beschließen müsse.
Die große Frage ist nun, was aus dem Bundeshaushalt 2025 wird. Dafür gibt es keine Mehrheit der Ampelkoalition mehr. Es gilt als unwahrscheinlich, dass CDU und CSU nun für eine Mehrheit sorgen.
Wird kein Haushalt beschlossen, würde ab Januar eine sogenannte vorläufige Haushaltsführung gelten. Dann sind vorerst nur Ausgaben möglich, die nötig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. In der Praxis kann das Finanzministerium den Ministerien aber bewilligen, pro Monat einen Prozentsatz der Mittel des noch nicht verabschiedeten Haushaltsentwurfs zu nutzen.
Was sind die Gründe für das Koalitionsende?
Lindner schlug in einem Papier zu einer "Wirtschaftswende" eine zum Teil völlige Neuausrichtung der Wirtschafts- und Klimapolitik vor. In dem Papier wird etwa als Sofortmaßnahme die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener gefordert, ein sofortiger Stopp aller neuen Regulierungen sowie ein Kurswechsel in der Klimapolitik. Nationale Klimaziele sollten durch europäische ersetzt werden. Das stieß auf zum Teil erheblichen Widerstand bei SPD und Grünen.
Scholz sagte, Lindner habe ultimativ und öffentlich eine grundlegend andere Politik gefordert - eine milliardenschwere Steuersenkung für wenige Spitzenverdiener und zugleich Rentenkürzungen für alle Rentnerinnen und Rentner. "Das ist nicht anständig", sagte der Kanzler.
Umstritten war ebenso, wie Milliardenlücken im Haushalt 2025 geschlossen werden sollen. Scholz schlug mit Blick auch auf die Folgen des Ukraine-Kriegs eine Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse vor. Die FDP lehnte das ab.
Lindner warf Scholz nun vor, den Bruch der Ampelkoalition gezielt herbeigeführt zu haben. "Sein genau vorbereitetes Statement vom heutigen Abend belegt, dass es Olaf Scholz längst nicht mehr um eine für alle tragfähige Einigung ging, sondern um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition", sagte der FDP-Vorsitzende in seinem Statement am Donnerstag. Damit führe Scholz Deutschland in eine Phase der Unsicherheit. Lindner warf SPD und Grünen vor, seine Vorschläge für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert zu haben.
Warum gab es immer wieder Streit?
Wiederholt hatte es scharfe und in der Öffentlichkeit ausgetragene Streitigkeiten des 2021 als "Fortschrittskoalition" angetretenen Regierungsbündnisses gegeben. Beispiele sind das lange Ringen um das Heizungsgesetz, die Kindergrundsicherung, die Migrationspolitik, das Rentenpaket und der Haushalt.
Dabei hat die Ampelkoalition durchaus Erfolge vorzuweisen. So wurde die tiefe Energiepreiskrise nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine überwunden, die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro unterstützt und der Ausbau der erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne nahm spürbar Fahrt auf.
Doch zunehmend traten Spannungen auf, erst recht seit dem Haushaltsurteil des Verfassungsgerichts vor rund einem Jahr, das die Regierung in arge Geldnot brachte. Vor allem in der Wirtschaftspolitik prallten angesichts der Konjunkturflaute die unterschiedlichen ideologischen Auffassungen der Ampel-Partner voll aufeinander. SPD und Grüne wollten für mehr Investitionen eine Reform der Schuldenbremse, das lehnte die FDP ab.
Was bedeutet das Ampel-Aus für Deutschlands Rolle in der Welt?
Der Wahlsieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen bedeutet enorme Herausforderungen für Deutschland und Europa - zum Beispiel in Fragen der Sicherheitspolitik, der Handelspolitik und der Klimapolitik. Dramatisch könnte es bei der westlichen Unterstützung der Ukraine in ihrem Kampf gegen den russischen Angriffskrieg werden. Gerade in dieser wichtigen Phase fällt Deutschland als "Stabilitätsanker" aus.
Auch vor dem Hintergrund der weltpolitischen Krisen hatte Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) gewarnt: "Dies ist die schlechteste Zeit, dass die Regierung scheitert."
Der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, Moritz Schularick, schrieb auf der Plattform X vom vielleicht schwierigsten Moment in der Geschichte der Bundesrepublik: "Zur inneren Strukturkrise kommen nun massive außenwirtschaftliche und sicherheitspolitische Herausforderungen, auf die wir nicht vorbereitet sind." Deutschland müsse kurzfristig massiv in europäische Verteidigungskapazitäten investieren und mit Frankreich und anderen willigen Partnern vorangehen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat bereits mehr Geld für die Bundeswehr gefordert und verweist auf die schnelle Aufrüstung Russlands unter Wladimir Putin. "Die russische Industrie produziert in drei Monaten mehr Waffen und Munition als die gesamte Europäische Union in einem Jahr. Und wir müssen damit rechnen, dass Putin willens und bereit ist, seine Streitkräfte auch zu nutzen", sagte Pistorius der Nachrichtenagentur dpa.
Was bedeutet das Aus für die Wirtschaft?
Das Ampel-Aus ist auch ein Rückschlag für die deutsche Wirtschaft. Für 2024 wird das zweite Rezessionsjahr in Folge erwartet. Deutschland hinkt anderen großen Wirtschaftsnationen hinterher. Bei Unternehmen und auch privaten Haushalten herrscht Unsicherheit. Firmen halten sich mit Investitionen zurück, Bürgerinnen und Bürger legen ihr Geld auf die hohe Kante.
Das dürfte sich nun erst einmal nicht ändern. Wirtschaftsverbände hatten die Ampel zu umfassenden Reformen aufgefordert - und zwar schnell. Die wichtigsten Punkte: die im internationalen Vergleich hohen Energiepreise müssten sinken, Bürokratie abgebaut und die teils marode Infrastruktur auf Vordermann gebracht werden. Nach dem Scheitern der Ampelkoalition droht eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Auch im kommenden Jahr könnte die Konjunktur nicht in Fahrt kommen.
Entsprechend äußerte sich auch Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing nach dem Aus der Koalition: Sewing forderte zügige Reformen und einen stabilen Rahmen für die Finanzierung von Investitionen in der Wirtschaft. Für rasche Neuwahlen sprach sich die der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), Wolfgang Große Entrup, aus. "Eine monatelange Hängepartie und politischen Stillstand können wir uns nicht leisten", erklärte er.