Verhandlung in Karlsruhe Die AfD klagt auf Ausschussvorsitze im Bundestag
Der AfD-Fraktion im Bundestag stehen drei Ausschussvorsitze zu, die Kandidaten fielen aber bei der Wahl durch. Nun verhandelt das Bundesverfassungsgericht dazu Klagen der AfD.
Noch nie in der Geschichte des Bundestages hatte es das gegeben: In der vergangenen Legislaturperiode, im November 2019, wurde der Vorsitzende des Rechtsausschusses von der AfD, Stephan Brandner, abgewählt. "Das ist ein einmaliger Vorgang", kommentierte damals Marco Buschmann (FDP), heute Bundesjustizminister, die Abwahl des AfD-Mannes. Aber dem seien auch "einmalige Entgleisungen" vorausgegangen.
Und die Entgleisungen, die Buschmann meint, waren in der Tat deutlich. Nach dem antisemitischen Terroranschlag von Halle hatte Brandner einen Tweet geteilt. In diesem wurde beklagt, dass Politiker nach dem Anschlag von Halle mit Kerzen in Moscheen und Synagogen "rumlungerten", die Opfer des Anschlags letztlich aber doch Deutsche gewesen seien.
Provokationen am laufenden Band
"Er hat mit unsäglichen Tweets gegen Minderheiten gehetzt." So beurteilt Johannes Fechner (SPD) die Äußerungen von Brandner. Brandner hatte sich für seinen Retweet zu Halle zwar später entschuldigt, blieb jedoch mit ähnlichen Aussagen in den Schlagzeilen. So bezeichnete er das Bundesverdienstkreuz für den AfD-kritischen Sänger Udo Lindenberg als "Judaslohn". Ebenfalls eine Aussage, die von vielen als antisemitisch eingestuft wurde.
Über den Rechtsausschuss des Bundestages hinaus löste das Auftreten von Brandner Empörung aus. Auch der Deutsche Richterbund (DRB) und der Deutsche Anwaltverein (DAV) begrüßten daher die Abwahl des AfD-Mannes vom wichtigen Posten des Vorsitzenden des Rechtsausschusses.
Die erste Klage zu dieser Frage
Brandner allerdings zeigte sich weiter uneinsichtig. Seine Abwahl sei "einfach eine Altparteien-Koalition, wie sie immer gegen die AfD stattfindet". "Egal, was wir machen: Die wollen mich weghaben. Die wollen der AfD vors Schienbein treten", so Brandner. Die AfD-Bundestagsfraktion hat gegen seine Abwahl in Karlsruhe geklagt.
Das Verfassungsgericht muss nun zum ersten Mal die Frage verhandeln, ob ein Bundestagsausschuss seinen Vorsitzenden abwählen kann. In der Geschäftsordnung des Bundestages gibt es dazu keine ausdrückliche Regelung.
Müsse es auch nicht, meint die Grünen-Abgeordnete Britta Haßelmann. Denn Stephan Brandner sei als Vorsitzender des Rechtsausschusses gewählt worden. "Und wer als Vorsitzender gewählt worden ist, kann auch abgewählt werden."
Es geht aktuell um drei Bundestagsausschüsse
Karlsruhe verhandelt heute aber über eine ganz grundsätzliche Frage: Werden die parlamentarischen Teilhabe- und Oppositionsrechte der AfD im Bundestag verletzt, wenn die Ausschussmehrheit einen Vorsitzenden abwählt, den die AfD selbst bestimmt hat - für einen Posten, der ihr nach der Geschäftsordnung normalerweise zustehen würde?
Neben dieser Frage liegt heute eine weitere Klage der AfD in Karlsruhe auf dem Tisch: Nach der Bundestagsgeschäftsordnung hat jede Fraktion grundsätzlich einen Anspruch auf Ausschussvorsitze, entsprechend ihrer Stärke. Die AfD bekam nach der vergangenen Bundestagswahl das Zugriffsrecht auf den Ausschussvorsitz in drei Ausschüssen - Inneres, Gesundheit, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Doch die drei AfD-Kandidaten fielen bei den Wahlen jeweils durch. Das verletzte ihre gleichberechtigte Teilhabe im Parlament, so die AfD-Fraktion.
Wie im Fall von Brandner wird es bei dem Verfahren in Karlsruhe nun um eine Abwägung gehen: Auf der einen Seite die Rechte der AfD-Fraktion auf einen Ausschussvorsitz, auf der anderen Seite das Recht der Bundestagsausschüsse, ihre Vorsitzenden demokratisch zu wählen oder abzuwählen. Karlsruhe wird klären müssen, ob es bei der Besetzung von Ausschussvorsitzen auf eine Wahl nach dem Mehrheitsprinzip ankommt oder nicht.
Eilanträge waren gescheitert
Die AfD hatte versucht, mit Eilanträgen Rechtsschutz in Karlsruhe zu bekommen. Sie war aber in allen Fällen gescheitert. Daraus folgt aber nicht unbedingt, dass die AfD auch in der Hauptsache niedrige Chancen hat. Denn in den Eilverfahren hatte Karlsruhe gesagt: Es ist nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, dass Rechte der AfD-Fraktion verletzt sind.
Einige Fragen, die die AfD-Klagen aufwerfen, sind jedenfalls juristisches Neuland. Nach der Verhandlung wird es noch einige Monate dauern, bis ein Urteil kommt.
Im Zusammenhang mit den Ausschussvorsitzen hatte der AfD-Abgeordnete Kay-Uwe Ziegler vergangene Woche im Gesundheitsausschuss für einen Eklat gesorgt. Er hatte sich auf den Platz des amtierenden Vorsitzenden von den Grünen gesetzt, vor sich ein Schild mit der Aufschrift "Ausschussvorsitzender" aufgestellt und sich zunächst geweigert, den Platz wieder zu räumen. Auf ihn kommt deshalb voraussichtlich ein Ordnungsgeld von 1.000 Euro zu.
Viele Klagen der AfD in Karlsruhe
Justizberichterstatter in Karlsruhe beobachten, dass die Zahl der AfD-Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht deutlich gestiegen ist. 22 Klagen liegen vor. Im Jahr 2023 gingen allein neun Klagen ein.
Inhaltlich geht es bei diesen Verfahren zum Beispiel um Äußerungen von Regierungsmitgliedern über die AfD im Bundestag, um Ordnungsrufe gegen AfD-Abgeordnete oder auch um die Beschlussfähigkeit des Bundestagsplenums bei zwei Nachtsitzungen.
Die vielen Klagen ließen zuletzt die Frage aufkommen, ob das Verfassungsgericht gezielt mit Klagen überhäuft wird. Auch bei der Jahrespressekonferenz des Bundesverfassungsgerichts in der vergangenen Woche war diese Frage ein Thema.