Schutz des Verfassungsgerichts Warum die Union bei Grundgesetzänderungen skeptisch ist
Grundsätzlich sind die Rechtsexperten von CDU und CSU dazu bereit, das Verfassungsgericht besser zu schützen. Doch Grundgesetzänderungen begegnet die Union zurückhaltend. Wo steht sie in der aktuellen Debatte?
Das Bundesverfassungsgericht krisenfest machen, es vor dem Zugriff autoritärer oder extremer Parteien schützen, sollten diese in Zukunft eine Mehrheit erlangen - das fordern Juristen seit Jahren. Mittlerweile finden sie damit auch im politischen Raum Gehör.
Es geht dabei auch um eine Änderung des Grundgesetzes. Dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat. Das heißt: Die Ampelkoalition braucht die Union. Und die tut sich schwer.
Dabei war es ein CSU-Abgeordneter, der das Thema bereits im November bei einer Plenardebatte aufgriff. Volker Ullrich warnte vor der "Verwundbarkeit" des Bundesverfassungsgerichts und rief dazu auf, das Gericht stärker zu schützen, indem zentrale Elemente ins Grundgesetz geschrieben werden. "Ich bitte Sie, dass wir gemeinsam darüber nachdenken."
Unionsabgeordnete verärgert
Es geht dabei etwa darum, die Aufteilung des Gerichts in zwei Senate, die zwölfjährige Amtsdauer, den Ausschluss der Wiederwahl und die Zweidrittelmehrheit für die Wahl der Richter ins Grundgesetz aufzunehmen. Denn dann könnten diese Regeln nicht mehr mit einfacher Mehrheit geändert werden.
Vergangene Woche waren Unionsabgeordnete aber vor allem verärgert. Und zwar über zwei Kollegen von SPD und FDP: Johannes Fechner und Stephan Thomae. Die beiden Rechtspolitiker hatten gegenüber der "Welt am Sonntag" ihre Ideen ausgeführt, wie sich das Bundesverfassungsgericht stärken ließe.
"Warum geht man damit über die Presse und kommt nicht erstmal mit einem konkreten Ampel-Vorschlag", kritisiert die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz. Ihr fehle die notwendige Ernsthaftigkeit. "Das darf keine politische Debatte über die Presse sein. Das muss, wenn, eine ernsthafte Debatte im Hintergrund sein."
Ärger auch beim rechtspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings: "Ich habe den Eindruck, dass sich da einzelne Politiker profilieren wollen." In der Diskussion sei leider große Angst zu spüren. Das sei Wasser auf die Mühlen der Radikalen. "Wenn wir die Debatte so öffentlich weiterführen, wird das mehr schaden als nutzen."
Der Auftakt der Diskussion sei "leider alles andere als hilfreich" gewesen, sagt auch Ansgar Heveling, Justiziar der Unionsfraktion. "SPD und FDP haben dem Anliegen der Resilienz des Bundesverfassungsgerichts eher nicht genutzt. Das Grundgesetz eignet sich nicht als Instrument der Profilierung unter Koalitionspartnern."
Es bleiben nur noch Monate
Generelle Linie der Union gegenüber Grundgesetzänderungen ist außerdem Zurückhaltung - unabhängig vom Thema. Vergangene Woche betonte das Friedrich Merz bei der Haushaltsdebatte im Bundestag: "Ich stelle Ihnen eine Zustimmung dazu heute grundsätzlich nicht in Aussicht."
Das betonen unisono auch die Rechtspolitiker seiner Fraktion. "Da braucht es für uns stets wirklich gute und zwingende Argumente", sagt Krings.
Die nächste Bundestagswahl ist regulär erst im September 2025. In der Zeitzählung der Abgeordneten endet die Legislaturperiode trotzdem quasi dieses Jahr. Danach sei nur noch Wahlkampf. Das heißt: Es bleiben nur noch Monate. Und das ist aus Sicht der Union zu wenig für eine Grundgesetz-Änderung.
Ganz wegwischen will man das Thema allerdings auch bei der Union nicht. "Die Erfahrungen in Polen etwa haben gezeigt, dass ein Verfassungsgericht schnell das Ziel von Ein- und Übergriffen von politischen Kräften werden kann, die es nicht gut mit Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und der wechselseitigen Kontrolle von Verfassungsorganen meinen", sagt Heveling. Das Anliegen, das Bundesverfassungsgericht resilient gegenüber solchen Kräften zu machen, sei daher grundsätzlich sinnvoll.
Warnung und Skepsis
Man könne darüber nachdenken, einzelne zusätzliche Regeln zum Bundesverfassungsgericht ins Grundgesetz zu schreiben, sagt Krings: "Etwa die Autonomie des Bundesverfassungsgerichts, die Dauer der Amtszeit oder der Ausschluss der Wiederwahl." Man müsse aber bei jedem Punkt überlegen, ob der Nutzen den möglichen Schaden überwiegt.
Besondere Skepsis herrscht gegenüber dem Vorschlag, die Zweidrittel-Mehrheit für die Wahl der Richter ins Grundgesetz zu schreiben. Ein Aspekt, der in Fachkreisen sogar als besonders wichtig gilt und einer der ersten Punkte war, der diskutiert wurde.
Doch die Union warnt. "Die Zweidrittel-Mehrheit für die Wahl der Richter im Grundgesetz zu verankern, würde eine Sperrminorität ermöglichen", sagt Krings. Das heißt: Eine Fraktion, die im Bundestag mehr als ein Drittel der Sitze hat, könnte dort die Wahl einer Richterin oder eines Richters blockieren.
Es gibt Überlegungen, wie eine solche Blockade aufgelöst werden könnte - etwa die Wahl dem Bundesrat anstelle des Bundestags zu übertragen. Ein solches Auswechseln des Wahlorgans sähe nach "Panik" aus, sagt Krings.
Parteiübergreifender Gesetzentwurf aus den Ländern
Nun werden entsprechende Ideen schon lange öffentlich diskutiert. Und die Rechtspolitiker Fechner, Thomae und Heveling hatten zuletzt eigentlich bewiesen, dass sie - gemeinsam mit ihrem Kollegen Konstantin von Notz von den Grünen - auch heikle rechtspolitische Themen geräuschlos miteinander zu besprechen und umzusetzen vermögen.
Da war etwa das Gesetz zur Stiftungsfinanzierung, das eine Verfassungsklausel enthält, die es der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung in Zukunft schwer machen könnte, staatlich gefördert zu werden.
Ein anderes Beispiel ist die Anhebung der Obergrenze für die staatliche Parteienfinanzierung - ebenfalls ein sensibles Thema, weil die Abgeordneten damit darüber entschieden, dass ihre Parteien künftig mehr Geld vom Staat bekommen sollen. Eine Entscheidung in eigener Sache also. Selbst mit der Linken waren beide Vorhaben abgestimmt.
Die Zurückhaltung in der Unionsfraktion im Bundestag entspricht außerdem nicht der Haltung der unionsgeführten Landesjustizministerien. Die arbeiten weitgehend unbemerkt vom Berliner Politikbetrieb gemeinsam mit Kollegen der anderen Parteien an einem Gesetzentwurf. Parteiübergreifend.