Entwicklungsministerin Schulze Gegenwind aus der eigenen Koalition
In Pakistan redet Svenja Schulze über die problematischen Arbeitsbedingungen der Textilindustrie. In Berlin legen ihr Koalitionspartner Steine in den Weg. Die Zeiten für die Entwicklungsministerin werden rauer.
Mitten im heißen pakistanischen Sommer steht Svenja Schulze in einer großen Produktionshalle. In Rawalpindi, südlich der Hauptstadt Islamabad: Neonlicht, Deckenventilatoren, Hunderte Arbeiter an Nähmaschinen und Zuschneidetischen. Was in der Firma "Kohinoor Textile Mills" genäht und verpackt wird - Bettwäsche, Kopfkissenbezüge und allerlei Tücher - das landet schon bald in Deutschland. Im Ladenregal oder Online-Shop bei Tchibo oder Aldi.
Während in anderen pakistanischen Fabriken Ausbeutung, Billiglöhne und Umweltsünden immer noch an der Tagesordnung sind, werden der deutschen Ministerin hier stolz die Fortschritte präsentiert: Die Löhne seien fair, der Arbeitsschutz sei gesichert, das massenhaft benötigte Wasser werde gesäubert und wiederverwendet.
Ein Vorzeigeunternehmen, in dem Schulze beweisen will: Faire Löhne und Arbeitsbedingungen sind möglich. Selbst in dem von politischen und wirtschaftlichen Dauerkrisen gezeichneten Pakistan, wo Textilarbeiter und -arbeiterinnen ansonsten nur selten einen festen Beschäftigungsvertrag haben. Und damit praktisch keine Rechte.
Schulze wollte sich in Pakistan von der Einhaltung des Lieferkettengesetzes überzeugen.
Radwege in Peru
Schulze kämpft in diesen Tagen aber nicht nur gegen die Ausbeutung von Arbeitern in ärmeren Ländern, sondern auch gegen die Skepsis, die der Entwicklungspolitik insgesamt entgegenschlägt. Zuhause in Deutschland. Es geht dabei nicht nur um die aufgeregt - und teils populistisch - diskutierte deutsche Förderung von Radwegen in Peru. Das Klimaschutzprojekt war noch unter CSU-Vorgänger Gerd Müller gestartet worden, aber Schulze kam unter Erklärungsdruck.
Auch aus der eigenen Ampelkoalition bekommt die SPD-Ministerin immer wieder Steine in den Weg gelegt. Selbst aus Reihen der Grünen, die eigentlich wohlwollend auf deutsche Entwicklungshilfe schauen: So plädierte Wirtschaftsminister Robert Habeck im Juni vor Unternehmern dafür, das deutsche Lieferkettengesetz auszusetzen, bis eine entsprechende EU-Regelung in Kraft ist.
Nach Protesten aus der SPD schwächte die Grünen-Fraktion im Bundestag Habecks Forderung wieder etwas ab. Und auch Ministerin Schulze hält während ihrer Pakistan-Reise noch mal dagegen: "Das ist ein Gesetz, das beschlossen wurde. Das ist geltendes Recht."
Weniger Etat
Das Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen seit dem vergangenen Jahr, in der gesamten Produktion auf Menschenrechte und Umweltstandards zu achten. Und die Ministerin nimmt auch den Rest der Koalition in die Pflicht, wenn sie beschwört: "Es ist niemandem in der Regierung egal, ob Kinderarbeit in unseren Produkten ist, die Umwelt zerstört wird, ob Menschenrechte eingehalten werden, ob die Leute fair bezahlt werden."
Für Svenja Schulze gab es noch mehr Dämpfer daheim in Berlin, 5.000 Kilometer entfernt: Bei den jüngsten Haushaltsverhandlungen gehörte sie zu den Verliererinnen, ihr Etat fürs kommende Jahr soll gekürzt werden - von 11,2 auf 10,3 Milliarden Euro. Schulze tut zwar ihren Unmut kund, bislang aber vergeblich.
Entsetzen auch beim Verband VENRO, der rund 140 entwicklungspolitische und humanitäre Organisationen in Deutschland vertritt: Geschäftsführerin Åsa Månsson warnt, Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe seien kein "nice-to-have": "Die Folgen von Armut, Kriegen und Klimawandel in anderen Teilen der Welt werden wir auch in Deutschland zu spüren bekommen."
FDP für Auflösung des Ministeriums
Die FDP-Fraktion brachte sogar die Auflösung des ganzen Ministeriums ins Spiel. FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke betont, es gehe ihm dabei gar nicht um die aktuelle Arbeit seiner Koalitionskollegin Schulze. Er spricht von einem "mittelfristigen Vorschlag", um Entwicklungszusammenarbeit effizienter zu machen: "Brauche ich dafür ein eigenes Ministerium mit eigenen Verwaltungsabteilungen, eigener Beihilfestelle, eigener Zentralabteilung und so weiter? Und da sage ich Nein."
Im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio verteidigt Fricke seinen Vorschlag, die Entwicklungspolitik ins Auswärtige Amt einzugliedern. Deutschland als starkes Land müsse natürlich Verantwortung übernehmen und Menschen in Not weiterhin schnell helfen.
Bei der auf längere Sicht organisierten Entwicklungshilfe fordert der FDP-Finanzexperte aber ein Umdenken: "Der Satz hört sich hart an: Aber es ist keine Weltsozialamtsaufgabe, die wir haben." Fricke betont das deutsche Interesse: Es gehe darum, anderen Ländern zu helfen, damit die sich wirtschaftlich und gesellschaftlich so entwickeln, dass sie als Handelspartner in Frage kommen.
Diskussion zur Unzeit
Es sind gar keine neuen FDP-Positionen, doch für Schulze wurde die Diskussion zur Unzeit neu entfacht. Die SPD-Politikerin macht auch von Pakistan aus klar, dass sie ein eigenes Entwicklungsministerium für unbedingt notwendig hält. In Großbritannien habe man gesehen, dass die Entwicklungspolitik nach der Abschaffung des Ministeriums an Bedeutung verloren habe. Schulze verlangt: "Wir müssen unsere Werte auch auf der internationalen Ebene vertreten." Das könne nicht in einem Wirtschafts-, Außen- oder Finanzministerium einfach angedockt werden.
Auf ihrer Pakistan-Reise freut sich Schulze über jeden noch so kleinen Fortschritt, der die Produktion dort fairer macht. So präsentierte sie eine neue Anlaufstelle, die pakistanische Textilfabriken beraten soll, bei der Herstellung Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten. Die SPD-Ministerin braucht einen langen Atem - auch im Kampf in eigener Sache für eine starke deutsche Entwicklungspolitik.