Schulze in der Ukraine "Ärzte und Elektriker sind genauso wichtig wie Panzer"
Mit ihrer Ukraine-Reise sendet Entwicklungsministerin Schulze zwei Signale: Deutschland hilft dem Land beim Wiederaufbau. Das zweite Signal geht an Finanzminister Lindner: Ihr Etat darf deshalb nicht gekürzt werden.
Es knarzt und kracht, die Fahrt im Nachtzug startet an der polnisch-ukrainischen Grenze. Neun Stunden später glänzen die goldenen Türme des St. Michaelsklosters in Kiew im Sonnenlicht. Menschen sitzen draußen in Cafés. Die Stimmung - trügerisch. Denn im Land herrscht Krieg, davon zeugen die zerschossenen, demolierten Autos und Panzer, die für alle sichtbar auf dem Platz vor dem Kloster stehen. Das Militär ist omnipräsent, Sandsäcke, Luftalarm. Die Menschen haben gelernt, mit dem Krieg umzugehen, er ist ihr Alltag.
45 Millionen Euro für Stromversorgung
Erst einen Tag vor der Ankunft von Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze in Kiew greift Russland die Ukraine massiv mit Drohnen und Raketen an. Das Ziel: die Stromversorgung im Land zu zerstören. Auch während Schulzes Besuch in Kiew heulen die Sirenen auf. Sie ist trotzdem hierhergekommen. Schulze will helfen, die Energieinfrastruktur wieder aufzubauen: Mit 45 Millionen Euro sollen beschädigte Teile des ukrainischen Stromnetzes repariert und Leitungen modernisiert werden.
Doch ist es sinnvoll, in Infrastruktur zu investieren, die wieder zerstört wird von Russland? Ja, meint Schulze, denn die Ukrainer bauen nach einer neuen Strategie auf: "Es ist deutlich schwieriger, dezentrale Strukturen zu zerstören, also dezentrale Windkraftanlagen, Solaranlagen - davon hat die Ukraine jetzt eine ganze Menge aufgebaut."
Das Dilemma des Wiederaufbaus
Der Wiederaufbau, er bildet den roten Faden von Schulzes Reise - und birgt ein Dilemma: Rund elf Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer sind entweder an der Front, innerhalb des Landes vertrieben oder ins Ausland geflohen und fehlen damit für den Wiederaufbau des Landes.
Für Schulze geht es daher um mehr als Geld, um mehr als Waffen: "Es werden hier Fachkräfte gebraucht, die Elektrizität wieder herstellen, die dafür sorgen, dass Wasser fließt, dass die Menschen ihr Leben hier weiterleben können. Und die Ärztinnen und Elektriker hier sind mindestens genauso wichtig wie die Panzer."
Klitschko: Ein "sinnloser Krieg"
Die Kooperation zwischen Deutschland und der Ukraine ist deswegen auch auf Schulungen im Land ausgerichtet: neue Handwerker, Ingenieure, Elektriker. Und die Reise der Entwicklungsministerin ist vor allem eine Vorbereitung auf die Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine. Sie wird gemeinsam von Deutschland und der Ukraine im Juni in Berlin ausgerichtet. Schulzes Ziel: Neue Unterstützer für die Ukraine zu gewinnen - vor allem für die ukrainischen Kommunen. Sie könnten den Wiederaufbau vorantreiben.
Für den Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, bedeutet Wiederaufbau auch Weitermachen. In seinem Amt ist das in Kriegszeiten oft kaum erträglich, wie er erzählt. Wenn er um die richtigen Worte ringen muss, um Eltern vom Tod ihrer Kinder zu berichten. Klitschko spricht dann von einem "sinnlosen Krieg". Er deutet auf die Gedenkmauer der gefallenen Soldaten in Kiew mit Tausenden Fotos; viele von ihnen waren jünger als 30 Jahre. Und er "hasst" noch etwas: "Krankenhäuser zu besuchen, Soldaten zu sehen, die schwer verletzt sind, die amputierte Arme oder Beine haben."
Neue Prothesenwerkstatt in Lwiw
Für Schulze wird das Leid des Kriegs am zweiten Tag ihrer Ukraine-Reise besonders deutlich. Rund sieben Stunden ist die Ministerin von Kiew wieder mit dem Zug Richtung Westen gefahren. In Lwiw besucht die SPD-Politikerin eine neue Prothesenwerkstatt und das daran angebundene Reha-Zentrum. Veteraninnen und Veteranen, Menschen, die durch Minen, Granaten oder eingestürzte Gebäude Beine oder Arme verloren haben, bekommen hier Hilfe. Deutschland hat den Bau des Zentrums mit 1,8 Millionen Euro unterstützt.
Das Problem: Es gibt zu viele Kriegsverletzte, zu wenig Prothesenmechaniker. Das soll sich mit der neuen Werkstatt ändern - 60 neue Fachkräfte werden hier ausgebildet. Die Produktion von Prothesen soll um das Dreifache erhöht werden. Etwa 1.200 Prothesen und Orthesen können nun pro Jahr hier gebaut werden. Es ist damit die größte Prothesenwerkstatt der Ukraine, die Schulze in Lwiw einweiht. Im dazugehörenden Reha-Zentrum werden Kriegsverletzte behandelt - Psychologen, Ärztinnen, Orthopäden und Physiotherapeutinnen arbeiten hier Hand in Hand.
Prothesenmechaniker sollen Teile fertigen, mit denen verletzte Soldaten und Zivilisten wieder laufen können.
Sparkurs: Entwicklungsministerin macht sich Sorgen
Am Ende ihres zweitägigen Ukraine-Besuchs wird deutlich: Ministerin Schulze wollte mit ihrer Reise zwei Signale setzen. Eins an die Ukraine: Deutschland hilft. Das zweite an ihren Kollegen, Finanzminister Christian Lindner: Dafür braucht es Geld. Denn der Besuch der SPD-Politikerin in der Ukraine wird auch vom sich abzeichnenden Haushaltsstreit mit dem Bundesfinanzminister von der FDP überschattet. Der hat seinen Ressortkollegen einen rigiden Sparkurs für den Haushalt 2025 aufgetragen.
Für Schulze und ihr Haus wären Lindners Vorgaben mit bitteren Einschnitten verbunden. Schulze fordert 12,2 Milliarden Euro für ihren Etat im nächsten Jahr, bekommen soll ihr Ministerium nur 9,9 Milliarden Euro. Das geht aus einem Schreiben des Entwicklungsministeriums hervor, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. Um der Ukraine weiterhin zu helfen, meldet das Ministerium Bedarf für verschiedene Maßnahmen an: etwa für Klinikpartnerschaften zwischen deutschen und ukrainischen Krankenhäusern, den Wiederaufbau von Energieinfrastruktur und die Unterstützung von Binnenvertriebenen im Land.
Tausende Menschen sind durch die russischen Angriffe schwer verletzt worden. Ihnen will Deutschland mit verschiedenen Maßnahmen helfen.
NGO warnen
Einfach klein beigeben wird die Entwicklungsministerin wohl nicht. Zumal sich die Ampel-Parteien in den Koalitionsvertrag geschrieben haben, mindestens 0,7 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe aufzuwenden.
Entwicklungshilfeorganisationen warnen bereits, dass dieses Ziel mit den Sparvorgaben Lindners wohl nicht erreicht werde. Aus Sicht Schulzes ein fatales Signal, auch weil die Krisen weltweit zunehmen würden. "Wir sind jetzt in internen Verhandlungen in der Regierung", meint Schulze, "und Herr Lindner weiß auch, wie wichtig es für uns ist, die Ukraine zu unterstützen. Aber klar mache ich mir Sorgen, ich sehe, was ich weniger machen kann, wenn weniger Geld da ist."
Mehr zum Thema sehen Sie im Bericht aus Berlin am Sonntag, 12.05., um 18 Uhr im Ersten.