Nach ausgerufenem Notstand Von der Leyen reist nach Lampedusa
Wie soll die EU mit der hohen Zahl an Migranten umgehen? Nachdem Beratungen der Innenminister ohne Ergebnis blieben, besucht EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen heute Lampedusa. Italiens Ministerpräsidentin Meloni pocht auf ein Eingreifen der EU.
Tausende Migranten, ein völlig überfülltes Aufnahmelager und eine Insel am Limit - EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird heute die Mittelmeerinsel Lampedusa besuchen und sich vor Ort über die Lage informieren. Damit folgt sie einer Einladung der italienischen Ministerpräsidentin.
Giorgia Meloni hatte sich am Freitag in einer Videobotschaft an die EU gewandt, nachdem innerhalb von drei Tagen etwa 8.500 Geflüchtete auf der 20 Quadratkilometer großen Insel eingetroffen waren.
Meloni forderte etwa eine europäische Mission, um Migrantenboote auf dem Weg nach Europa zu stoppen. Falls nötig, müsse die Marine eingesetzt werden, sagte die Rechtspolitikerin. Nach ihrer Vorstellung sollten die Menschen bereits in Nordafrika vom Ablegen abgehalten werden. Ein solcher Einsatz müsse "sofort" starten.
Meloni für schnelle Umsetzung des Tunesien-Abkommens
Zudem müsse das geplante Migrationsabkommen mit Tunesien rasch umgesetzt werden, erklärte Meloni. Die vereinbarten finanziellen Mittel müssten schnellstmöglich übertragen werden, um den Deal zu beschleunigen.
Vor zwei Monaten waren die Regierungschefin und von der Leyen gemeinsam in Tunesien, um den Deal mit dem nordafrikanischen Land auszuhandeln. Als eines der wichtigsten Transitländer für Migranten auf dem Weg nach Europa soll Tunesien im Gegenzug für millionenschwere Finanzhilfen künftig stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgehen. So sollen die Abfahrten von Menschen übers Mittelmeer reduziert werden. Das geplante Abkommen ist jedoch nicht unumstritten - vor allem wegen der Lage der Migranten in Tunesien sorgt es für Kritik.
Beratungen der Innenminister ohne Ergebnis
Die EU-Mitgliedsländer sind sich bislang uneins, wie Italien unterstützt werden kann. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte sich am Samstag mit ihren Amtskollegen aus Italien, Frankreich und Spanien beraten. Die Telefonkonferenz, an der auch EU-Innenkommissarin Ylva Johansson teilnahm, brachte jedoch kein konkretes Ergebnis, teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Anfrage mit. Das Gespräch werde am Montag fortgesetzt.
Faeser habe nach Angaben des Sprechers die humanitäre Unterstützung Deutschlands angeboten. Dies werde nun geprüft. "Einigkeit bestand darin, dass Tunesien die Verpflichtungen aus den Vereinbarungen mit der Europäischen Union einhalten muss, um lebensgefährliche Überfahrten über das Mittelmeer zu verhindern."
EU-Solidaritätsmechanismus bleibt ausgesetzt
Deutschland werde vorerst keine weiteren Migranten aus Italien über den freiwilligen Solidaritätsmechanismus aufnehmen, teilte der Sprecher des Bundesinnenministeriums zudem mit. Derzeit würden keine Interviews zur Vorbereitung von weiteren Übernahmen stattfinden. Es gebe aber noch einige Migranten, die das Verfahren bereits durchlaufen hätten und übernommen würden. Der Sprecher fügte hinzu, die Interviews zur Vorbereitung von Übernahmen könnten "jederzeit wieder aufgenommen" werden.
Innenministerin Faeser hatte am Freitagabend in der tagesschau mit Blick auf die Ankunft zahlreicher Migranten auf Lampedusa gesagt, es sei "natürlich klar, dass wir unseren solidarischen Verpflichtungen auch nachkommen". Dies hatte die Frage aufgeworfen, ob Deutschland nun wieder das freiwillige Aufnahmeprogramm fortsetze.
Aufnahmeprogramm seit August ausgesetzt
Die Bundesregierung hatte das freiwillige Aufnahmeprogramm im August ausgesetzt - auch aus Protest dagegen, dass Italien sich derzeit gegen die Rücknahme von Geflohenen nach den sogenannten Dublin-Regeln sperre. Diese sehen vor, dass Asylsuchende, die unerlaubt in einen anderen Mitgliedsstaat weiterziehen, in der Regel wieder in den Erst-Einreisestaat zurückgebracht werden.
Im Rahmen der freiwilligen Aufnahme hatte Deutschland zugesagt, bis zu 3.500 Schutzsuchende aus Staaten an der südlichen EU-Außengrenze aufzunehmen, wo derzeit besonders viele Migranten ankommen. Laut Bundesinnenministerium wurden bislang mehr als 1.700 Schutzsuchende aufgenommen - etwa 1.000 davon aus Italien. Weitere hätten bereits eine Zusage für die Aufnahme erhalten, die nicht von der Aussetzung des Programms betroffen seien.
800 Geflüchtete innerhalb eines Tages
Unterdessen bleibt die Lage auf Lampedusa angespannt. Mehr als 800 Menschen seien allein am Samstag auf mehr als einem Dutzend Booten angekommen, meldete die italienische Nachrichtenagentur Ansa. Auf einem der Boote starb italienischen Medienberichten zufolge ein Baby, das während der Überfahrt geboren wurde. Bei der Mutter setzten auf dem Kahn die Wehen ein. Mit der Hilfe von anderen Mitreisenden brachte sie das Baby zur Welt. Laut den Berichten starb der Säugling kurz nach der Geburt.
Meloni kündigte an, "außergewöhnliche Maßnahmen" zu treffen. Diese sollten am Montag in einer Kabinettssitzung beschlossen werden. Italien wird seit Oktober 2022 von einer Rechtsallianz regiert. Die ultrarechte Meloni versprach, die Migration einzuschränken. Bislang konnte sie das Wahlversprechen nicht erfüllen. Seit Jahresbeginn kamen laut Zahlen des Innenministeriums in Rom schon mehr Migranten als im gesamten Jahr 2022 über das Meer nach Italien - bis zum 15. September waren es rund 127.200 Menschen.