Abstimmung im Bundestag Welche Regeln sollen für Sterbehilfe gelten?
Im Bundestag ging es heute um eine Gewissensentscheidung: Ob und wie soll die Sterbehilfe geregelt werden? Zwei Gesetzentwürfe lagen vor, beide scheiterten. Wie unterscheiden sie sich? Und was gilt jetzt?
Die Ausgangslage
Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben: In einem Grundsatzurteil erkannte das Bundesverfassungsgericht vor drei Jahren ein solches Recht ausdrücklich an. Dieses Recht, sich selbst zu töten, umfasst demnach auch die Freiheit, sich dafür Hilfe bei Dritten zu holen. Doch welche Regeln sollen für die Sterbehilfe gelten?
Gesucht wird eine Regelung, die sowohl dem Anspruch auf selbstbestimmtes Sterben als auch dem Lebensschutz genügt. Ein schwieriger Balanceakt: Nach drei Jahren an Beratungen und zwei sogenannten Orientierungsdebatten im Bundestag lagen die endgültigen Gesetzentwürfe erst seit Kurzem vor. Beide Entwürfe verfehlten nun jeweils eine Mehrheit.
Was ist Sterbehilfe?
Als Sterbehilfe wird jede Form der Unterstützung beim Sterben verstanden - von der Befreiung von Schmerzen bis zur aktiven Tötung. Meist wird zwischen passiver, indirekter und aktiver Sterbehilfe unterschieden. Der Deutsche Ethikrat differenziert zwischen Sterbebegleitung, Sterbenlassen, Tötung auf Verlangen - und dem Spezialfall assistierter Suizid. Um den geht es in der aktuellen Diskussion.
Ist assistierter Suizid derzeit verboten?
Nein. Beim assistierten Suizid wird einem Sterbewilligen ein todbringendes Mittel überlassen, nicht aber verabreicht. Weil der Betroffene die Handlung selbst begeht und der Suizid in Deutschland nicht strafbar ist, ist auch die Hilfe dabei nicht illegal. Dies stellte das Bundesverfassungsgericht 2020 klar, als es das 2015 verabschiedete Gesetz zum Verbot der "geschäftsmäßigen" Suizidbeihilfe kippte. Das bis dahin geltende Gesetz zielte auf die auf Wiederholung angelegte Hilfe bei der Selbsttötung durch Sterbehilfeorganisationen.
Die Karlsruher Richter urteilten am 26. Februar 2020, das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließe das Recht ein, sich das Leben zu nehmen und dabei die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Sie ließen aber erkennen, dass sie neue Regelungen für sinnvoll halten, etwa um sicherzustellen, dass die Entscheidung für die Selbsttötung wirklich aus freien Stücken erfolgt und nicht Folge einer psychischen Erkrankung oder eines Drucks von außen ist. Sie empfahlen dem Gesetzgeber, zugleich ein Schutzkonzept zu verabschieden, um Missbrauch zu verhindern.
Ob und wie die Suizidassistenz künftig geregelt wird, sollte heute im Bundestag entschieden werden. Dass es gesetzliche Regeln für den assistierten Suizid braucht, ist unstrittig.
Sind alle Formen der Sterbehilfe legal?
Nein. Wer einem Sterbewilligen ein Medikament verabreicht, etwa spritzt, begeht Tötung auf Verlangen - und damit aktive Sterbehilfe. Sie ist in Deutschland nach Paragraf 216 strafbar. Tötung auf Verlangen wird mit mindestens sechs Monaten und höchstens fünf Jahren Gefängnisstrafe geahndet.
Anders verhält es sich beim Sterbenlassen. Darunter wird verstanden, wenn lebensverlängernde Maßnahmen bei todkranken Patienten reduziert oder abgebrochen werden. Das kann etwa das Einstellen der künstlichen Beatmung oder Ernährung sein. Das Sterbenlassen ist straffrei und sogar rechtlich geboten, wenn der Patient dies vorher geäußert oder veranlasst hat.
Unter Sterbebegleitung fasst der Ethikrat alle Therapien, die am Lebensende Schmerzen und Leiden lindern helfen. Darunter fallen auch Therapien, bei der die schmerzlindernde Medikation dazu führt, dass der Kranke schneller stirbt - früher als indirekte Sterbehilfe bezeichnet. Sie gilt als weitgehend zulässig.
Vorschlag 1: Begrenzte Strafbarkeit
Eine Gruppe um die Abgeordneten Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU) und weiteren Abgeordneten von Grünen, FDP und Linken wollte die Hilfe bei der Selbsttötung in organisierter ("geschäftsmäßiger") Form erneut unter Strafe stellen, unter bestimmten Voraussetzungen aber erlauben.
Dazu zählt, dass die Sterbewilligen sich zweimal mit einem Mindestabstand von drei Monaten einer psychiatrischen oder psychotherapeutischen Begutachtung unterziehen, ein zusätzliches Beratungsgespräch in Anspruch nehmen und nach der Begutachtung mindestens zwei Wochen, höchstens aber zwei Monate bis zur Selbsttötung vergehen. Die ärztliche Begutachtung soll ausschließen, dass "keine die autonome Entscheidungsfindung beeinträchtigende psychische Erkrankung vorliegt". Der oder die Sterbewillige muss zudem volljährig sein.
Verstöße gegen dieses Verfahren sollen mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. Das Verfahren soll dazu dienen, die Autonomie Suizidwilliger zu schützen. Nach Auffassung der Gruppe werden Betroffene, auf die durch bestehende Suizidhilfe-Angebote Druck entstehen könnte, so am besten geschützt.
Der Entwurf sieht zudem einen neuen Strafrechtsparagrafen 217a gegen die "Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung" vor. Demnach soll sich strafbar machen, wer "seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise" Sterbehilfe anbietet. Im Bundestag stimmten nun 304 Abgeordnete für den Entwurf, 363 dagegen.
Vorschlag 2: Generelle Straffreiheit
Eine Gruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP), Renate Künast (Grüne) und weiteren Parlamentariern von SPD und Linken betont das Recht, Hilfe bei der Selbsttötung in Anspruch zu nehmen und will die Sterbehilfe grundsätzlich aus dem Strafrecht herausnehmen.
Der Entwurf sah den Aufbau eines Beratungsnetzes vor. Beratungsstellen sollen den Sterbewilligen eine Bescheinigung ausstellen, auf deren Grundlage ein Arzt oder eine Ärztin frühestens drei, spätestens zwölf Wochen nach der Beratung ein tödlich wirkendes Medikament verschreiben dürfte. Auch sie machen Volljährigkeit des oder der Betroffenen zur Voraussetzung.
In Härtefällen, im Entwurf etwa beschrieben als "existentieller Leidenszustand" infolge einer unheilbaren und fortgeschrittenen Krankheit, dürfte ein Arzt das Mittel auch ohne vorherige Beratung verschreiben. Zudem sollen die Länder Stellen benennen, die alternativ zu einem Arzt oder einer Ärztin die Verschreibung übernehmen sollen, wenn das andere Verfahren für die betroffene Person nicht zumutbar ist. Dies gilt etwa für den Fall, dass die oder der Sterbewillige keinen Arzt findet, der zur Verschreibung der Mittel bereit ist.
Der Vorschlag erhielt im Bundestag 287 Ja-Stimmen. 375 Abgeordnete stimmten mit Nein.
Helge Lindh (SPD), neben Renate Künast (Grüne) und Katrin Helling-Plahr (FDP), bei der Vorstellung der Parlamentsinitiative für Regelungen der Sterbehilfe.
Welche Kritikpunkte gibt es?
Die Kritik aus Fach- und Sozialverbänden war im Vorhinein groß - an beiden Vorschlägen. Ärztevertreter warnten vor einer zu weitgehenden Liberalisierung der Sterbehilfe. Dies würde einer "gesellschaftlichen Normalisierung des Suizids Vorschub leisten", befürchtete etwa der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt.
Der Psychiatrie-Fachverband DGPPN forderte eine bessere Suizidprävention statt leichterer Sterbehilfe - denn häufig seien suizidale Menschen aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung überhaupt nicht in der Lage, "diese Entscheidung frei und selbstbestimmt zu treffen". Auch aus Sicht des Vorstandes der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kommt die Vorbeugung von Suizid zu kurz. Brysch erklärte, die Entwürfe gingen über die Sorgen Sterbenskranker hinaus. "Vielmehr entfalten sie Wirkung auf lebenssatte, psychisch kranke oder depressive Menschen." Eine Ablehnung der Anträge sei die einzige Möglichkeit, ein ethisches Dilemma nicht zu vergrößern.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) konnte sich zu keiner konkreten Empfehlung durchringen, die sie beim Gesetz 2015 noch abgab. Wie andere auch fordern sie vor dem Suizidassistenz-Gesetz ein Suizidpräventionsgesetz.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Entscheidung des Bundestags zur Suizidbeihilfe verlief anders als die üblichen Abstimmungen im Parlament. Die vorgelegten Gesetzentwürfe stammten nicht etwa von der Bundesregierung, der Koalition oder einzelnen Oppositionsfraktionen - vielmehr handelte es sich um Vorschläge, hinter denen jeweils Abgeordnete aus allen Fraktionen außer der AfD stehen.
Die Abgeordneten stimmten zudem nicht entlang der Fraktionszugehörigkeit ab, sondern rein nach ihrer persönlichen Einstellung. Dies kommt im Bundestag selten vor und ist vor allem bei medizinethischen Themen üblich. Beispielsweise wurde bei Regelungen zur Organspende und zur Präimplantationsdiagnostik diese Herangehensweise gewählt.
Nachdem beide Gesetzentwürfe gescheitert sind, bleibt es dabei, dass Suizidassistenz in Deutschland grundsätzlich erlaubt ist, teilweise aber rechtliche Unsicherheiten birgt.
Wie ist Sterbehilfe in anderen Ländern geregelt?
Einige Länder in Europa haben teils seit Jahren eine liberalere Gesetzgebung als Deutschland - darunter Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Spanien und die Schweiz.
In der Schweiz etwa ist die Suzidhilfe nicht strafbar, solange keine "selbstsüchtigen Beweggründe" vorliegen, wie es im Gesetz heißt. Auch eine "indirekte aktive Sterbehilfe" ist grundsätzlich erlaubt. Das bedeutet, dass zur Linderung von Leiden Mittel eingesetzt werden, die als Nebenwirkung die Lebensdauer herabsetzen können. "Diese Art der Sterbehilfe ist im StGB nicht ausdrücklich geregelt, gilt aber als grundsätzlich erlaubt", so das Schweizer Bundesamt für Justiz.
Sollten Sie selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe. Bei der anonymen Telefonseelsorge finden Sie rund um die Uhr Ansprechpartner.
Telefonnummern der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 www.telefonseelsorge.de
Telefonberatung für Kinder und Jugendliche: 116 111 - www.nummergegenkummer.de
(Quelle: epd, AFP, dpa)