Umgang mit dem Regime Deutschlands Iran-Dilemma
Ein Jahr nach den Protesten im Iran setze Deutschland vor allem auf Sicherheitspolitik statt auf Menschenrechte, kritisieren Experten. Das könnte am Atomdeal liegen, den die Europäer wiederbeleben möchten.
"So sehr es das Herz bricht: Wir werden die Verhältnisse in Iran von außen nicht ändern können", schreibt Außenministerin Annalena Baerbock zum Jahrestag des Todes von Jina Mahsa Amini. Die Mullahs und Revolutionswächter sind im Iran weiter an der Macht - ein Jahr, nachdem es landesweite Massenproteste gegen die politische und religiöse Führung gab, nachdem Zehntausende verhaftet und mehr als 500 Protestierende getötet wurden.
Vor einem Jahr versprach die Außenministerin, dass es kein "Weiter so" mit dem Iran geben könne. Sie lobte den Mut der Demonstrierenden im Iran und fand deutliche Worte gegen die, die die Proteste niederschlugen. Doch immer wieder gibt es Kritik aus der Protestbewegung: Baerbock wende sich nicht entschieden genug gegen das iranische Regime. Das weißt sie zurück.
Gemeinsam mit europäischen Partnern hat Baerbock Sanktionen auf den Weg gebracht, besonders bedrohten Iranerinnen und Iraner humanitäre Visa ausgestellt. Auf ihre Initiative hat der UN-Menschenrechtsrat eine Untersuchungskommission beschlossen. Unabhängige Expertinnen und Experten sollen dabei das brutale Vorgehen gegen die Proteste im Iran untersuchen, um Verantwortliche eines Tages zur Rechenschaft ziehen zu können, wie die Außenministerin sagt.
Sicherheitspolitik vor Menschenrechten?
Für Ali Fathollah-Nejad, Direktor des Berliner Thinktanks Center for Middle East and Global Order, gibt es darüber hinaus allerdings kaum Unterstützung der Bundesregierung für die Protestbewegung. "Man geht davon aus, dass es nur eine saisonale Revolte war", sagt der Forscher, der sich mit der Iran-Politik der EU beschäftigt.
Fathollah-Nejad blickt auf die Protestbewegung im Iran hingegen als Teil eines langfristigen revolutionären Prozesses, der seinen vorläufigen Höhepunkt im vergangenen Jahr hatte, an dessen Ende auf lange Sicht womöglich ein Regimewechsel stehen könnte. "Die Kluft zwischen Staat und Gesellschaft ist mittlerweile irreversibel geworden", sagt er.
Mehrheit der Iraner lehnt Regime ab
81 Prozent der Menschen im Iran lehnen laut einer Studie der niederländischen Non-Profit-Organisation GAMAAN Research Foundation vom Dezember 2022 das Regime ab. Doch in der Iran-Politik der Bundesregierung kann er keinen Wandel erkennen. "Kurzfristige Interessen werden einer längerfristig nachhaltigen Sicherheitspolitik vorgezogen", sagt Fathollah-Nejad. "Es gibt eine westliche Obsession mit dem Atomdeal, der einen notwendigen Paradigmenwechsel in der Iran-Politik verhindert."
Das Problem der deutschen Außenpolitik sei, dass man autoritäre Staaten als Garanten für Stabilität ansehe, dabei seien Menschenrechte und Werte auch stabilitätsrelevant. "Man verleiht autoritären Herrschern durch bedingungslose Verhandlungen weiter Macht und Legitimität", so Fathollah-Nejad.
Am Beispiel Russlands habe man aber gesehen, dass autoritäre Staaten mit imperialem Anspruch kaum Stabilität herstellten.
Deutschland setzt auf diplomatische Lösung
2015 hatte sich der Iran in einem Atomabkommen verpflichtet, die Uran-Anreicherung einzuschränken. Dafür hob der Westen Sanktionen auf. Doch als die USA unter Ex-Präsident Donald Trump 2018 das Abkommen einseitig aufkündigten, sah sich auch der Iran nicht mehr an den Deal gebunden und baute sein Nuklearprogramm aus.
Expertinnen und Experten warnen, dass das Land kurz vor der Atomwaffenfähigkeit stehe. Das will die Bundesregierung gemeinsam mit der EU, Frankreich, Großbritannien und den USA verhindern - und setzt auf eine diplomatische Lösung.
Die Opposition kritisiert, dass die Bundesregierung "tunnelblickartig" auf das Atomabkommen schaue. "Iran-Politik ist Nuklearabkommen und sonst gar nichts", sagte der CDU-Politiker Norbert Röttgen im Bundestag. "Man hat fast den Eindruck, dass diese feministische Revolution diejenigen, die ihre Nuklearpolitik gegenüber dem Iran machen, ein bisschen stört."
Weiter kritisiert Röttgen, dass die Außenpolitik der Bundesregierung nichts mit feministischer Außenpolitik zu tun habe.
Feministische Außenpolitik nur in der Theorie?
Im Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien eine feministische Ausrichtung der Außenpolitik verankert und die Leitlinien hierzu im Frühjahr vorgestellt. Beim Feminist Foreign Policy Summit 2022 sagte Baerbock: "Wenn wir auf diese Krisen wirksam reagieren wollen, brauchen wir einen ganzheitlichen Sicherheitsansatz. Und wir müssen die menschliche Sicherheit in den Mittelpunkt stellen."
Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik fordert genau das von der deutschen Regierung: "Ein Perspektivwechsel wäre geboten, der die iranische Gesellschaft ins Zentrum rückt und nicht länger den iranischen Staat." Sie betont in einer Veröffentlichung, dass die Iran-Politik Chancen bietet, um feministische Ansätze in der Politik auch in die Praxis umzusetzen: Ein Anfang wäre es beispielsweise, die Zivilgesellschaft massiv zu stärken.