Deutsche Nahost-Politik Ein Balanceakt, der immer schwieriger wird
Vor dem Internationalen Gerichtshof muss sich Deutschland wegen seiner Unterstützung für Israel verantworten. Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson, betont die Regierung. Dennoch stellt der Krieg die Beziehungen auf die Probe.
Es war vor einem halben Jahr, direkt nach dem Terrorangriff der Hamas. Da sagte Olaf Scholz am 8. Oktober 2023 im Kanzleramt den Satz, der das Motto ist für die deutsche Nahost-Politik: "Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson."
Die Staatsräson ist der Begriff, den schon Scholz' Vorgängerin Angela Merkel geprägt hat, um Deutschlands Verantwortung angesichts des Holocaust gerecht zu werden. Vor einem halben Jahr folgerte der Bundeskanzler daraus konkret: "Israel hat das Recht, sich gegen diese barbarischen Angriffe zu verteidigen, seine Staatsbürger zu schützen und die Angreifer zu verfolgen."
Wie weit reicht das Selbstverteidigungsrecht?
Doch wie weit reicht dieses Selbstverteidigungsrecht? Will und kann die Bundesregierung Israel gegenüber irgendwann Grenzen aufzeigen? Es ist ein Balanceakt, der immer schwieriger wird, je härter die israelische Armee den Gazastreifen angreift und je mehr Palästinenser getötet werden.
Außenministerin Annalena Baerbock bemüht sich immer, beide Seiten im Blick zu haben. Für sie gibt es kein Entweder-Oder: "Die Sicherheit der Menschen in Israel vor dem Terror der Hamas ist ebenso wichtig wie das Überleben der Palästinenserinnen und Palästinenser. Beides gehört zusammen", sagte sie bei einem Besuch in Israel im Februar.
Eher Warnungen als deutliche Kritik
Mit jeder Woche allerdings wächst das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza weiter. Israel droht in Rafah anzugreifen, wo mehr als eine Million Menschen nicht fliehen können. Während weltweit immer mehr Länder auf Distanz zu Israel gehen und das Vorgehen in Gaza scharf verurteilen, windet sich der Bundeskanzler bei seinen Erklärungen: "Die Art der Kriegsführung muss den Ansprüchen, die Israel an sich selber hat, aber die das Völkerrecht auch mit sich bringt, entsprechen", sagte er in Washington im Februar.
Nach und nach verschärft aber auch Außenministerin Baerbock ihren Ton leicht. Zumindest die öffentlichen Äußerungen sind eher Warnungen als deutliche Kritik: "Sollte die israelische Armee unter diesen Bedingungen einer Offensive auf Rafah starten, wäre dies eine humanitäre Katastrophe mit Ansage."
Harte Konsequenzen sind bisher kein Thema
Deutschland gerät international in eine Außenseiterrolle als letzter Verbündeter Israels zusammen mit den USA. Zwar verlieren auch die Regierungen in Berlin und Washington die Geduld mit dem israelischen Premier Benjamin Netanyahu und fordern mehr humanitäre Hilfe für Gaza und Feuerpausen. Harte Konsequenzen, zum Beispiel ein Stopp von Waffenlieferungen nach Israel, sind allerdings kein Thema.
Die Hälfte der Deutschen findet laut ARD-DeutschlandTrend im März, dass Israel militärisch zu weit geht. In der deutschen Politik gibt es aber nur wenige, die das so klar aussprechen wie Amira Mohamed Ali vom Bündnis Sahra Wagenknecht. "Jeder, der sich hinstellt und angesichts dieses Elends nicht sagt, dass dieses Handeln der israelischen Regierung völkerrechtswidrig ist und sofort beendet werden muss, der muss mir von Moral und Werten und Völkerrecht wirklich nichts mehr erzählen", sagte Mohamed Ali im März im Bundestag.
Dass die Bundesregierung von der Solidarität mit Israel grundsätzlich abrückt, damit ist nicht zu rechnen. Nur ganz vorsichtig könnte die Kritik lauter werden. Immer im Rahmen der Staatsräson.