Krieg im Gazastreifen Baerbock warnt Israel vor Offensive in Rafah
Bundesaußenministerin Baerbock hat Israel vehement davor gewarnt, die Kämpfe im Gazastreifen auf den Grenzort Rafah auszuweiten. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Gaza hat dort Schutz gesucht.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat Israel eindringlich davor gewarnt, seine Angriffe im Gazastreifen auch auf Rafah nahe der ägyptischen Grenze auszuweiten. Stattdessen drängte die Grünen-Politikerin erneut auf eine Waffenruhe und das langfristige Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung.
Sie habe "mit Schrecken" die Ankündigung des israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant gehört, die israelische Offensive könnte im Süden des Gazastreifens auch Rafah erreichen. "Jetzt in Rafah, an dem letzten und überfülltesten Ort, vorzugehen, wie vom israelischen Verteidigungsminister angekündigt, wäre einfach nicht zu rechtfertigen", mahnte Baerbock im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
"Ein Großteil der Opfer" solcher Angriffe wären Frauen und Kinder, sagte die Außenministerin weiter und betonte: "Stellen wir uns einfach vor: Es wären unsere Kinder." Gemeinsam mit den USA habe sie gegenüber Israel immer wieder deutlich gemacht, "dass sich die Menschen in Gaza nicht in Luft auflösen können", so Baerbock weiter.
Auch EU alarmiert wegen möglicher Ausweitung der Offensive
Mit Blick auf die nach Rafah Geflüchteten warnte auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borell, diese Menschen seien davon ausgegangen, dass es sich um eine sichere Zone handele. "Aber in Wirklichkeit sehen wir, dass die Bombardierung der Zivilbevölkerung weitergeht und eine sehr schlimme Situation schafft", so Borell. Kämpfe in Rafah könnten die Menschen, die dort Schutz gesucht hätten, dazu bringen, weiter nach Ägypten zu ziehen, was laut Borell die israelische Friedensvereinbarung mit dem Land untergraben und die USA verärgern würde. Zudem drohe eine solche Entwicklung die eh schleppenden Verhandlungen um die Freilassung der Geiseln aus den Händen der Hamas "zu torpedieren".
Die belgische Außenministerin Hadja Lahbib rief erneut dazu auf, eine Lösung im Nahostkrieg über "Dialog und Diplomatie" zu erzielen. "Es ist der einzige Weg, wie wir die Situation im Nahen Osten beruhigen können", mahnte Lahbib, andernfalls drohe ein "echtes Risiko eines Überschwappens des Konflikts".
Rafah ist "völlig überfüllt" mit Geflüchteten
Israels Verteidigungsminister Gallant hatte am Freitag erklärt, dass die Truppen seines Landes nach den Erfolgen im Kampf gegen die Terrormiliz Hamas in der Stadt Chan Yunis im südlichen Gazastreifen auch auf Rafah vorrücken könnten. "Wir erfüllen unsere Aufgaben in Chan Yunis, und wir werden auch Rafah erreichen und Terrorelemente, die uns bedrohen, ausschalten", sagte Gallant. Israel hatte zudem angegeben, dass es unter der Grenze zwischen Ägypten und Gaza Tunnel vermute, die nach wie vor dem Schmuggel von Gütern und Waffen für die Hamas dienen.
In Rafah soll sich mittlerweile mehr als die Hälfte der etwa 2,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Gazastreifens aufhalten. Sie waren in den Ort geflüchtet, weil er "bislang als einigermaßen sicher" galt, berichtet ARD-Korrespondent Philip Kuntschner aus Tel Aviv. Doch mittlerweile lebten die Geflüchteten in Rafah in regelrechten "Zeltstädten unter widrigsten Umständen". Rafah sei "völlig überfüllt", es gebe nur mangelnde Versorgung mit Lebensmitteln, Trinkwasser und medizinischer Hilfe.
Außerdem gelangt über den Grenzübergang Rafah ein Großteil der humanitären Hilfslieferungen in den Gazastreifen.
Verhandlungen über Feuerpause dauern an
Statt einer Ausweitung der israelischen Offensive müsse für den Gazastreifen eine erneute Feuerpause durchgesetzt werden, drängte Baerbock. Doch bislang zeichne sich kein Kompromiss in den seit etwa einer Woche andauernden Verhandlungen ab, an denen Israel, Ägypten, Katar und die USA beteiligt seien, hieß es von ARD-Korrespondent Kuntschner.
Es gebe jedoch Berichte, dass Uneinigkeit in der Führungsriege der Hamas über die Forderungen aufgekommen sei, die die Terrormiliz im Gegenzug zu der Freilassung der Geiseln stellt. Bislang pochte die Hamas auf einen kompletten Abzug des israelischen Militärs aus dem Gazastreifen und die Freilassung von in Israel inhaftierten palästinensischen Gefangenen.
Auf lange Sicht kann Frieden im Nahen Osten aus Sicht Baerbocks nur mittels einer Zweistaatenlösung geschaffen werden. Eine nachhaltige Sicherheit für Israel könne nur entstehen, wenn auch die Palästinenser in einem eigenen Staat in Sicherheit und Würde leben könnten. "Dazu müssen Israel und Palästinenser zugleich anerkennen, dass die Sicherheit des anderen die Lebensgarantie für einen selbst ist", betonte die Grünen-Politikerin. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu lehnt einen eigenständigen Palästinenserstaat jedoch ab.
Israel setzt Angriffe auf Chan Yunis fort
Derzeit konzentriert Israel seine Offensive im Gazastreifen vor allem auf die ebenfalls im Süden liegende Stadt Chan Yunis. Auch in den vergangenen 24 Stunden hätten die Truppen die Angriffe fortgesetzt, teilte das israelische Militär mit. Unter anderem hätten Soldaten ein Gebäude gestürmt, in dem sie Waffen und Tauchausrüstungen der Hamas gefunden hätten. Des Weiteren sei eine mutmaßliche Hamas-Kommandozentrale bombardiert worden, die mit einem Tunneleingang und einem Waffenlager verbunden gewesen sei.
Im Norden des Gazastreifens sei im Flüchtlingslager Al-Schati eine Gruppe Hamas-Kämpfer, die Waffen transportieren wollten, durch einen gezielten Luftschlag ausgeschaltet worden, hieß es von israelischer Seite weiter. Insgesamt wurden demnach binnen eines Tages Dutzende Hamas-Kämpfer getötet.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.