Polen Wie die Grenzregion auf die Parlamentswahl schaut
Vor der Wahl in Polen schauen Menschen auf beiden Seiten der Grenze aufmerksam Richtung Warschau. Ihre Sorge gilt dem deutsch-polnischen Verhältnis und der Frage, wie die Wahl ihren Alltag beeinflussen könnte.
Fred Mahro (CDU) ist seit fünf Jahren Bürgermeister der Stadt Guben an der Neiße. Genau genommen ist er Bürgermeister der halben Stadt, denn auf der polnischen Seite des Flusses heißt der Ort Gubin. Vor dem zweiten Weltkrieg gehörten beide Teile zusammen. Und auch heute fühlen sich Guben und Gubin sehr nah, arbeiten eng zusammen. Die Menschen fühlen sich auf beiden Seiten der Neiße zu Hause. Arbeiten im jeweils anderen Land, gehen in die Kita, in die Schule oder erlernen einen Beruf. Für Fred Mahro ist klar: Guben ist eine Stadt in zwei Ländern.
Dem kann sein parteiloser Amtskollege Bartlomiej Bartczak aus Gubin nur zustimmen. Das Verhältnis von Deutschen und Polen sei hier sehr gut und das lasse man sich auch von der antideutschen Propaganda der regierenden PiS-Partei nicht kaputt machen. "Wir hier in Guben und Gubin machen unsere Sache unabhängig von der großen Politik. Unabhängig davon, was welcher Politiker gerade wieder gesagt hat, wer wen momentan beleidigt hat", betont er nachdrücklich.
Guben und Gubin wollen ihre gute Zusammenarbeit weiterführen, ihre gemeinsamen Projekte. So entstand vor vier Jahren eine besondere Polizeieinheit: Brandenburgische und polnische Polizisten schieben zusammen Revierdienst. Neben dem ganz normalen Polizeialltag versuchen sie auch beispielsweise, auf polnischer Seite Schadstoffe zu finden, die illegal nach Deutschland transportiert werden, oder überprüfen verlassene Autos auf deutscher Seite.
Gemeinsame in die Zukunft
Schon vor 25 Jahren bauten beide Städte ein gemeinsames Klärwerk. Aus wirtschaftlicher Sicht sei das sinnvoll, sagt Carsten Jacob, Leiter des Informationszentrums der Euroregion Spree-Neiße-Bober in Guben. "Wer in einer Grenzregion nur national denkt, hat einen Wirkungskreis von nur 180 Grad." Sein Verein fördere aktuell zehn Projekte auf beiden Seiten der Grenze.
Unter anderem forschen Wissenschaftler der BTU Cottbus und der Universität Zielona Góra zur gemeinsamen Energieeffizienz und -speicherung. Trotz politischer Spannungen sei das Vertrauensverhältnis beiderseits der Neiße "sehr hoch", so Jacob. Nach der Wahl werde sich daran wenig ändern. Ihm sei wichtig, dass man weiterhin die "vermeintlichen Randregionen" stärkt und zusammenführt.
Wahlkampfthema Wirtschaft
Dennoch wünscht sich Bartlomiej Bartczak eine andere Regierung als die PiS. Er unterstützt seinen Bruder, der als parteiloser Kandidat antritt, um die Stimme der Kommunen in der Grenzregion hörbar zu machen. Insgesamt ist in Westpolen die Opposition deutlich stärker als im Rest des Landes. Die Gegend ist wirtschaftlich erfolgreich und die PiS hat ihre Stammwählerschaft eher in einkommensschwachen Milieus, eher im Osten Polens und auf dem Land. An der deutsch-polnischen Grenze dagegen überwiegt die Kritik an der Sozialpolitik der PiS, die zwar ärmeren Menschen sehr hilft, aber nach Meinung vieler Unternehmer auf Kosten der Wirtschaft finanziert wird. Die extrem hohe Inflation in Polen sei eine Folge davon, sagen hier viele.
Auf dem sogenannten "Polenmarkt" in Hohenwutzen an der Oder, etwa 120 km nördlich von Guben wird dieses Thema heiß diskutiert. Hier verkaufen Händler polnische Waren, die für deutsche Kunden bislang sehr günstig waren. Durch die Inflation ist dieser Preisvorteil fast dahin, so dass die polnischen Händler fürchten, auf ihren Waren sitzen zu bleiben. Viele wollen auch deshalb am Sonntag nicht die PiS wählen, wie Ilona, die hier ein Café betreibt: "Wir alle machen uns Gedanken wegen der hohen Inflation. Es ist Zeit für einen Regierungswechsel. Ich habe aber Angst, dass die jetzige Regierung an der Macht bleibt."
Viele deutsche Kunden profitieren dagegen derzeit noch von der PiS-Regierung. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der staatseigene Ölkonzern Orlen jetzt vor den Wahlen seinen Kraftstoff zu extrem günstigen Preisen verkauft. Als eine Art Wahlwerbung. Etwa 1,30 Euro kostet der Liter Sprit, entsprechend lang sind die Schlangen vor den Tankstellen im Grenzgebiet. Die Polen fürchten wiederum, dass sie nach der Wahl für diese Subvention bezahlen werden.
Wem gehört die Oder?
Die Oder trennt die beiden Länder auch in andere Hinsicht stärker als die Neiße im Süden. Das Fischsterben vom Sommer 2022 wirkt nach, deshalb streiten die Länder über die Zukunft des Grenzflusses. Die deutsche Seite wünscht sich mehr Renaturierung und Umweltschutz, die polnische mehr wirtschaftliche Nutzung als Wasserstraße. Obwohl sich auch in Polen Umweltschutzverbände und interessierte Anwohnerinnen und Anwohner gegen eine zu starke Kommerzialisierung engagieren, sitzt die PiS-Regierung die Sache aus. Selbst polnische Gerichtsurteile gegen den Ausbau der Oder werden ignoriert.
So wurde auch die Oder Wahlkampfthema in Polen. Die sozialdemokratische Linke LEWICA etwa wirbt im Wahlkampf mit ihrem Programm "Saubere Flüsse". Jakub Korczynski ist Sejm-Kandidat der LEWICA. Er betont, dass ein Regierungswechsel eine andere Umweltpolitik ermöglichen würde: "Da sind wir einstimmig in der Opposition. Wir finden, dass das Ökosystem der Oder für Deutschland und auch in Polen essenziell ist. Für die Biodiversität, für die Fischer und alles... Wir haben konkrete Maßnahmen, die wir umsetzen wollen."
Zusammenwachsen der Grenzregion
Und auch die Landkreise am deutschen Oderufer hoffen auf einen Regierungswechsel. Sie gehen davon aus, dass dann eine bessere Zusammenarbeit mit den polnischen Behörden möglich wäre.
Eine Zusammenarbeit, die es in Guben/Gubin seit langem gibt. Das gute Verhältnis auf kommunaler Ebene ist hier allen sehr wichtig - in beiden Ländern. So wichtig, dass zumindest Gubens Bürgermeister Fred Mahro gelassen auf den Sonntag blickt: "An dem Zusammenwachsen der Grenzregion wird es - egal, wer an der Macht ist - keinen Abbruch mehr geben, solange die EU zusammenhält."