Olaf Scholz
analyse

Nach Ampel-Ende Wann stellt Scholz die Vertrauensfrage?

Stand: 08.11.2024 18:00 Uhr

Die Forderung danach, Bundeskanzler Scholz solle möglichst bald die Vertrauensfrage stellen, wird immer lauter. Scholz will warten, zeigt sich aber gesprächsbereit. Was ist sein Kalkül?

Eine Analyse von Evi Seibert, ARD-Hauptstadtstudio

Christian Lindner hat nach dem Ampel-Aus gerötete Augen. Robert Habeck sieht sorgenvoll zerknittert aus. Und der Kanzler? Olaf Scholz sitzt im Regierungsflieger nach Budapest, spricht und sieht aus wie immer - und versucht ganz offensichtlich, den Eindruck zu vermitteln, er habe alles im Griff. Vielleicht glaubt er das auch tatsächlich.

Olaf Scholz hat die Gabe, auf der einen Seite intellektuell unglaublich viel aufnehmen und verarbeiten zu können. Auf der anderen Seite kann er Teile der Realität offensichtlich ausblenden und glaubt dann nur seinem eigenen Blick auf die Dinge. Im Moment sieht es so aus, als blende Scholz eine Menge aus.

Kanzler unter Dauerbeschuss

Sein zukünftiger größter Gegner im Wahlkampf, CDU-Chef Friedrich Merz, hat unmissverständlich klargemacht, dass er dem Noch-Kanzler in keinster Weise entgegenkommen wird, wenn der seinen Zeitplan nicht ändert und sofort die Vertrauensfrage stellt. Auch nicht bei Entscheidungen, die die Union inhaltlich normalerweise mittragen würde.

Das bedeutet: In jeder Bundestagsrede der Opposition - und auch jeden Morgen in diversen Zeitungsüberschriften - wird Olaf Scholz aufgefordert werden, umgehend die Vertrauensfrage zu stellen und Neuwahlen möglich zu machen. Mit allen Wortvarianten von "Sesselkleben" bis "Machtmissbrauch".

Wohl auch deshalb zeigt sich der Bundeskanzler am Rande des Gipfels in Budapest nun gesprächsbereit. "Über den Termin sollten wir möglichst unaufgeregt diskutieren", sagt er in typischer Scholz-Manier.

Auch von den Grünen keine überzeugte Zustimmung

Olaf Scholz ist keiner, der spontan Entscheidungen trifft. Er überlegt lange, hört sich auch an, was seine Berater sagen - und wenn er zu Ende gedacht hat, macht er, was er für richtig hält. Er glaubt offensichtlich, dass die Zeit ihm helfen wird. Dass er sich ohne die zänkische FDP noch zwei Monate als souveräner Kanzler präsentieren kann und für den Wahlkampf sein Image als ruhiger, besonnener Staatslenker aufpolieren kann. Damit ist er ziemlich allein.

Sein noch Koalitionspartner, die Grünen, antworteten auf die Frage, warum das Intermezzo so lange dauern soll: "Das kann nur der Kanzler entscheiden." Überzeugte Zustimmung klingt anders.

Was ist Scholz' Kalkül?

Aber: Scholz ist Kanzler geworden, obwohl er allein war. Kaum jemand außer ihm hatte geglaubt, dass er es schaffen würde - alles sprach gegen ihn. Das hat ihn geprägt. Damals hat ihm zusätzlich zu seiner eigenen Zuversicht und seinem unglaublichen Selbstvertrauen geholfen, dass seine Gegner Fehler gemacht haben.

Zu Scholz' Kalkül zu warten, gehört deswegen sicher auch, dass sein diesmaliger Gegner Merz mehr Chancen bekommen soll, ebenfalls Fehler zu machen. Je länger der Kanzler Merz zappeln lässt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Merz mal ausrastet und daneben langt - glaubt Scholz. Bleibt er dabei?

Denn im Bundestag geht nichts mehr. Die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast, weiß nicht, was überhaupt noch auf die Tagesordnung im Parlament kommen soll, wenn es keine Mehrheiten gibt.

Mit seiner heutigen Ankündigung hat Scholz nun einen kleinen Schritt eingelenkt: Der 15. Januar scheint nicht mehr in Stein gemeißelt. Scholz zeigt sich offen für Gespräche über den Termin der Vertrauensfrage, macht dies aber vom Verhalten der Bundestagfraktionen abhängig.

"Es wäre gut, wenn nun im Bundestag unter den demokratischen Fraktionen eine Verständigung darüber erreicht wird, welche Gesetze noch in diesem Jahr beschlossen werden können", sagt Scholz. "Diese Verständigung könnte dann auch die Frage beantworten, welcher Zeitpunkt dann der richtige ist, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen."

Torben Ostermann, ARD Berlin, tagesschau, 08.11.2024 12:44 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 08. November 2024 um 18:00 Uhr.