Gespräche zwischen Ampel und Union Wie kann das Verfassungsgericht geschützt werden?
Um das Bundesverfassungsgericht besser vor Einflussnahme zu schützen, ist eine Grundgesetz-Änderung im Gespräch. Dafür wären auch Stimmen von CDU und CSU nötig. Heute gehen die Gespräche zwischen Union und Ampel weiter.
Nach einigem Hin und Her bei CDU und CSU sprechen Vertreter der Unionsfraktion nun doch mit Abgeordneten der Ampelkoalition über einen besseren Schutz des Bundesverfassungsgerichts.
Was ist das Problem?
Das Bundesverfassungsgericht hat sich, seit es 1951 seine Arbeit aufgenommen hat, als unabhängiger Hüter des Grundgesetzes bewährt. Bürgerinnen und Bürger wenden sich an das Karlsruher Gericht, um ihre Grundrechte durchzusetzen. Die Opposition schätzt die Richterinnen und Richter als Korrektiv gegenüber den Regierenden.
Doch an einer solchen Institution haben autokratische Kräfte kein verstärktes Interesse - das haben Erfahrungen in anderen Ländern gezeigt. In Polen hatte die vorherige Regierung mit Gesetzesänderungen versucht, das Verfassungsgericht als Kontrollorgan auszuschalten. Vergleichbare Versuche und Bestrebungen waren in Ungarn, Polen, der Türkei und zuletzt in Israel zu beobachten.
Da viele der Regeln, die die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts bestimmen, in einem einfachen Gesetz stehen, gibt es die Befürchtung, dass das auch in Deutschland passieren könnte - sollten sich die Mehrheitsverhältnisse entsprechend verschieben. Denn einfache Gesetze können mit einfacher Mehrheit geändert werden. Anders als das Grundgesetz - dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit.
Tücken birgt allerdings auch dieses Erfordernis einer Zweidrittel-Mehrheit. Es verschafft Fraktionen im Bundestag, die auf sich oder gemeinsam mehr als ein Drittel der Stimmen vereinen, eine Sperrminorität. Sie könnten notwendige Änderungen blockieren oder an Zugeständnisse knüpfen. Auch für die Wahl von Verfassungsrichterinnen und -richtern braucht es eine Zweidrittelmehrheit.
Welche Lösungsvorschläge werden diskutiert?
Schon seit mehreren Jahren wird in Juristenkreisen darüber nachgedacht, wie sich das Bundesverfassungsgericht besser vor einer solchen Entmachtung schützen ließe. Mittlerweile hat diese Diskussion auch die politische Agenda in Berlin erreicht. Dort drohte sie schon nach kurzer Zeit im parteipolitischen Kleinklein unterzugehen. Doch nun haben sich die Ampel- und Unionsparteien zusammengerauft. Eine Grundgesetz-Änderung könnten sie wegen der erforderlichen Zweidrittel-Mehrheit nur gemeinsam angehen. Das Bundesjustizministerium hat für heute zu Gesprächen eingeladen und auf Wunsch der Union dafür einen Arbeitsentwurf als Grundlage vorgelegt.
Danach würde der Status des Gerichts als Verfassungsorgan im Grundgesetz verankert werden. Ebenso soll festgehalten werden, dass Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bindend sind beziehungsweise Gesetzeskraft haben. Außerdem würden zentrale Strukturen aufgenommen: Diese sehen vor, dass es nur zwei Senate mit je acht Richtern gibt, die zwölfjährige Amtszeit sowie die Altersgrenze von 68 Jahren für Richterinnen und Richter sowie den Ausschluss einer Wiederwahl.
Das soll eine einseitige politische Einflussnahme auf das Gericht verhindern - etwa durch die Wahl zusätzlicher, linientreuer Richter oder ein Herabsetzen von Amtszeit oder Altersgrenze, um unliebsame Richterinnen und Richter loszuwerden.
Welche Vorschläge stehen sonst noch im Raum?
Diskutiert wird auch, im Grundgesetz zu verankern, dass Richterinnen und Richter mit Zweidrittel-Mehrheit gewählt werden müssen - das ist bislang nur in einem einfachen Gesetz geregelt. In dem Arbeitsentwurf ist dieser Punkt nicht enthalten. Es ist in der Tat einer der kompliziertesten Punkte, den man innerhalb der Union für heikel hält. Er wirft nämlich die Folgefrage auf: Wie umgehen mit einer Fraktion, die mehr als ein Drittel der Stimmen hat, und damit die Wahl eines Verfassungsrichters blockiert oder an Zugeständnisse knüpft. Dafür gibt es zwar unterschiedliche Lösungsvorschläge. An denen lässt sich aber auch jeweils wieder etwas aussetzen.
Die Landesjustizministerien, die schon länger an einem eigenen Gesetzentwurf arbeiten, haben etwa vorgeschlagen, dass im Fall einer Blockade im Bundestag der Bundesrat die blockierte Richterwahl übernimmt und umgekehrt. Schon heute werden die Richterinnen und Richter je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt. Innerhalb der Union bezeichneten sie einen solchen Austausch des Wahlorgans zuletzt als "Panik".
Daneben gibt es Überlegungen im Grundgesetz zu regeln, dass das Bundesverfassungsgericht ein Veto einlegen darf, wenn etwas an seiner Arbeitsweise gesetzlich geändert werden soll - etwa die Vorgabe gemacht werden soll, dass Fälle nicht nach Wichtigkeit, sondern nach Eingangsdatum abgearbeitet werden müssen.
Wie stehen die Chancen für das Vorhaben?
Die Herausforderung bei all diesen Überlegungen ist, das Grundgesetz nicht zu überfrachten und die nötige Flexibilität einer einfachen Mehrheit dort, wo sie in der Praxis in Zukunft nötig sein könnte, zu bewahren.
Der Vorschlag des Bundesjustizministeriums konzentriert sich auf wesentliche Punkte, was eine Einigung wahrscheinlicher macht. Ob die Gespräche noch einmal scheitern, wird auch davon abhängen, ob es den Beteiligten gelingt, die vereinbarte Vertraulichkeit zu wahren.
Um nicht in die Mühlen des Wahlkampfes zu geraten, müsste das Vorhaben außerdem bestenfalls noch vor dem Sommer den Bundestag erreichen oder zumindest in diesem Jahr. Wenn man denn zu dem Ergebnis kommt, dass es Änderungen überhaupt braucht. Noch vor wenigen Wochen war die Union zu dem Schluss gekommen, diese seien "derzeit nicht zwingend notwendig".