Debatte über Silvesterkrawalle Woher kam die Gewalt?
Die Diskussion über die Silvesterkrawalle geht weiter - nun auch im Bundestag. Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung warnt davor, die Debatte zu vereinfachen.
Eigentlich hätten die Landeskriminalämter dem Bund schon längst Daten zu den Tätern der Silvesternacht zukommen lassen sollen. Genauer gesagt, bis Ende vergangener Woche. Mit einem bundesweiten Lagebild wollte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Debatte versachlichen.
Schließlich gab es nicht nur in Berlin gewaltsame Szenen. Allerdings waren die Meldungen aus der Hauptstadt besonders ungewöhnlich. Einsatzkräfte der Feuerwehr schilderten in den Tagen nach Silvester, wie manche von ihnen in einen Hinterhalt gelockt und mit Schreckschusswaffen bedroht worden seien.
Bislang haben die Landeskriminalämter dem Bund allerdings noch nicht oder nicht ausreichend Daten zu den ermittelten Tätern geliefert. Warum, ist unklar. Auch Familienministerin Lisa Paus (Grüne) rief im Mittagsmagazin von ARD und ZDF vor ein paar Tagen zu einer sachlichen Debatte auf. In der Politik wird nun aber weiterhin auf unklarer Datenbasis über die Jugendgewalt an Silvester gestritten, zum Teil emotional.
Debatte im Bundestag
So hatte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz mit einer Aussage im ZDF für Aufsehen gesorgt, wonach sich manche Schüler mit Migrationshintergrund wie "kleine Paschas" verhielten und dabei von den Vätern unterstützt würden.
In der Bundestagsdebatte am Nachmittag ergänzte Andrea Lindholz von der CSU, man dürfe nicht ignorieren, dass manche der Täter keine deutschen Staatsbürger gewesen seien. Der Staat müsse auch im Falle von Jugendgewalt an Silvester Stärke zeigen.
Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Reem Alabali-Radovan von der SPD, betonte hingegen, man müsse an die Ursachen von Jugendgewalt ran. Ethnie, Herkunft oder Religion erklärten nichts, sondern die Verhältnisse, in denen Menschen lebten.
"Eventhafte" gewaltsame Übergriffe
Nun hat sich das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) mit dieser Frage auseinandergesetzt. Bei diesem Institut handelt es sich um eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung, die vom Familienministerium gefördert wird.
In einer Stellungnahme zu den Ausschreitungen in Berlin-Neukölln heißt es, dass "eventhafte" gewaltsame Übergriffe generell häufig mit männlichen Jugendlichen und mit städtischen Gelegenheitsstrukturen verbunden seien. Das sei allerdings nicht nur so bei Silvesterkrawallen, sondern auch bei anderen Anlässen zu beobachten - in der Ultra-Fanszene, bei Randalen am ersten Mai, in der Querdenkerszene oder auch in der Schinkenstraße in Palma de Mallorca.
Was ist das entscheidende Kriterium?
Schon da wird deutlich, dass das DeZIM nicht davon ausgeht, dass der Migrationshintergrund das entscheidende Kriterium für die Gewaltbereitschaft der jungen Generation ist. "Dass im Zuge polizeilicher Maßnahmen in der Silvesternacht in Neukölln in großer Mehrzahl Personen mit Migrationsgeschichte in Gewahrsam genommen wurden, ist aus statistischer Sicht nicht überraschend", heißt es weiter.
Schließlich hätten in Berlin laut Mikrozensus rund 50 Prozent der Bevölkerung im Alter von 15 bis 20 Jahren einen Migrationshintergrund. Schon allein deshalb sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass Menschen mit Migrationshintergrund von der Polizei festgehalten würden.
Bundesweite Datenlage unklar
Nach einer ersten offiziellen Statistik hat die Berliner Polizei bislang 44 mutmaßliche Angreifer auf Polizisten und Feuerwehrleute identifiziert. Die allermeisten davon seien männliche Jugendliche oder junge Männer unter 25 Jahren, wie die Polizei mit dem Stand vom 17. Januar mitteilte.
Doch die bundesweite Datenlage ist nach wie vor unklar. Laut "Tagesspiegel" soll es in der Silvesternacht bundesweit mindestens 282 Angriffe auf Einsatzkräfte gegeben haben. Das habe eine eigene Umfrage unter allen 16 Innenministerien der Länder ergeben. In Berlin soll es mit etwa 100 Attacken am meisten Attacken gegeben haben.
Unterschiedliche Faktoren
Integrations-Experte Ahmad Mansour betont, dass es in der Tat unterschiedliche Faktoren für die Gewalt von Jugendlichen gebe. Er fordert jedoch eine offene Debatte. Sozialisation und kultureller Hintergrund müssten mitbedacht und mitdiskutiert werden.
Die Autoren der DeZIM-Stellungnahme warnen ebenfalls vor einem vereinfachenden Bild über Jugend und Gewalt. Sie kommen jedoch zu einem anderen Schluss: "Wir möchten abschließend betonen, dass es nicht nur keine vereinfachte Erklärung entlang der Migrationsbiographie von Menschen, sondern auch keine einfachen Schlüsse im Hinblick auf das Gewaltverhalten von Jugendlichen geben darf."
Prozesse, die Gewalt begünstigten oder entstehen ließen, seien vielschichtig. Sie ließen sich nicht auf einzelne Merkmale wie eine Migrationsgeschichte oder das Alter herunterbrechen, so die Autoren der DeZIM-Stellungnahme.